Die Lettrétage im April

Als ein „mehrstufiges Monster“ hat der aus Berlin stammende Lyriker Sebastian Unger den Krieg in der Ukraine in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur bezeichnet. Er hat dieses Monster in Kiew, wo er zeitweise lebt, am eigenen Leib erfahren. Nachdem er sich nach Berlin in Sicherheit bringen konnte, hat er zusammen mit befreundeten Künstler*innen, die aus der Ukraine stammen oder mit ihr auf die eine oder andere Weise verbunden sind, ein ambitioniertes Programm für einen guten Zweck auf die Beine gestellt: Ukraine. Art, Video and Poetry Benefit Event bietet am 2. April die Möglichkeit, eine breite Palette unterschiedlichster künstlerischer Beiträge zu erleben, sowohl vor Ort als auch per Livestream aus der Ukraine. Um Spenden wird gebeten. Sie kommen einer humanitären Initiative zugute, die Hilfsgüter ins Kriegsgebiet liefert.

Kenan Khadaj musste vor einem anderen Gewaltexzess fliehen. Er kam 2015 von Syrien nach Deutschland. Zusammen mit Raguel Roumer arbeitet er an einer Graphic Novel, einer „tragikomischen Wohnungsfantasia“, die den Krieg zu erklären versucht. Am 6. April stellen die beiden Ich bin nicht euer Hampelmann / I’m Not Your Fool bei Die unsichtbare Stadt 3 vor, der allmonatlichen Lesebühne des Kollektiv WIESE in der Lettrétage.

Der 12. April steht im Zeichen einer doppelten Familiengeschichte: Jürgen Meier präsentiert seinen Roman Wöbkenbrot und Pinselstrich, der das Schicksal der Meyers und Beckers zusammenführt. Passend zu ihren urdeutschen Namen, sind sie tief in die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts verstrickt: angefangen beim Kaiserreich über die NS-Diktatur bis hin zur Studentenrevolte. „Wie sich im Deutschland des vergangenen Jahrhunderts aus Vaterlandsstolz und Kaisertreue erst Kriegslust und schließlich nationalsozialistischer Judenhass entwickeln konnten, illustriert der Hildesheimer Autor Jürgen Meier“, lautet das Resümee des Magazins Stadtkind.

Und es geht gleichermaßen historisch und familiär weiter. Am 13. April liest Michael Göring aus Dresden. Roman einer Familie, der sich um die gegenläufigen Geschichten von Fabian Schlüter und Kai Gersberger dreht. Während der eine aus dem Westen regelmäßig die Gersbergers in Dresden besucht und sich dort verliebt, will der andere nur eines: raus aus der DDR. „Manchmal meint man“, so Maren Ahring im NDR, „die Zweitakter riechen zu können, oder glaubt, selbst über die rundgefahrenen Kopfsteinpflasterstraßen zu rumpeln.“ So erzählt der Roman von den entscheidenden Jahren zwischen 1975 bis 1989 und einem Dresden, das mit der Wende verschwunden ist.

Die einmalige Anaïs-Meier-Show bietet am 21. April eine zweifache Kostprobe: nicht nur von den Texten der Schweizer Autorin, die in diesem Jahr den Förderpreis Komische Literatur erhalten hat, sondern auch von ihrem Lieblingskäse. Zu Anaïs Meiers Prosaband Über Berge, Menschen und insbesondere Bergschnecken schreibt etwa der Freitag: „Beiläufig wird Abgründiges vor tugendhafter Fassade entblößt. Schmunzelt man zunächst noch, bleibt einem doch recht bald das Lachen im Halse stecken.“ In ihrem Debütroman Mit einem Fuss draussen erfährt man hingegen laut SRF „mehr über das Phänomen abgetrennter Füsse, die Bedeutung von Friedrich Glauser und Helge Schneider für ihr Schreiben, und die korrekte Art, Altpapier zu bündeln“.

Am 22. April wird der ursprünglich für Januar geplante Abend der kleinen Form nachgeholt. Jonathan Böhm, Martin Lechner und Tobias Premper geben Einblicke in ihre jüngsten Werke, die die Prosaminiatur ins Zentrum rücken. Jonathan Böhms Debütroman Wir sind allein unter Bäumen handelt von einer jungen Gruppe von Freunden, die sich zwar im Laufe der Jahre durch unterschiedliche Lebenswege voneinander entfernt haben. “Böhms Stil ist lyrisch, seine Stimme melancholisch, und er findet tiefgründige Bilder für das Lebensgefühl dieser Generation, die den Wandel im Osten durchlebt hat wie keine andere,” so Anna Hartwich im NDR. Martin Lechner und Tobias Prempers GELATI! GELATI! wiederum ist ein Band, in dem vielerlei steckt: “Ein bei Nacht schwarz die Hafenmauer hochleckendes Meer, zum Beispiel, oder traurig dumme Duschgesänge, eine menschenfressende Couch, nachmittäglich stehengebliebene Musikschuluhren und Trauben, die weich sind wie der Mond.”

Die von Soul and the City organisierte Love, Sweat and Laughter – Spring Edition am 23. April ermöglicht es verschiedenen Kunstformen, sich zu manifestieren, miteinander zu verflechten und zusammenzuwachsen. Einige der coolsten Künstler Berlins werden sich versammeln, um ihre gewitzten Performances in einer angenehmen, freundlichen und knallharten Atmosphäre zu präsentieren, die mit Liebe, Schweiß und Lachen gefüllt ist – der richtige Anstoß für die ganze Nacht.

In Johannes Laubmeiers Debüt Das Marterl, das man am 26. April kennen lernen kann, fährt der Erzähler zurück in den Ort seiner Kindheit in Niederbayern. In der kleinen Stadt, die ihm erscheint, als wolle sie mit Folk­lore, Starkbierfesten und den Denkmälern bedeutsamer Männer die Zeit anhalten, versucht er, sich an seinen Vater zu erinnern. Und an den Verkehrsunfall, bei dem der Vater vor zehn Jahren starb. Doch ein Ort hat nie nur eine Gegenwart. Zwischen die Geschichte des Erzählers drängt sich das Leben eines Jungen. Die Angst vor einem Monster in einem Berg und ein fliegender Bär. Eine Liebe zur Blasmusik und die zu einer Frau. Kann die Erinnerung helfen, mit der Endlichkeit fertigzu­werden?

Den Abschluss am 28. April bildet ein Auftakt: Isobel Markus startet ihre sechsteilige Reihe Berliner Salonage – Frauenart – Back, now & then. Die erste Ausgabe Herkunft – Frauenleben zwischen tradierten und modernen Rollenbildern setzt sich lyrisch und literarisch mit der Abkehr und/oder Überfrachtung von weiblichen Rollenbildern auseinander und stellt unter anderem die Frage, was Frauenleben und Frauenart ausmacht, und was unsere Herkunft damit (noch) zu tun hat. Ein Abend mit Caca Savic, Jacinta Nandi, Dilek Mayatürk, Daniel Breuer und Musik von souvenir bleu, Julia und Kolja Lieven.

Auf bald in der Lettrétage!

Das Programm der Lettrétage lebt von der freien Literaturszene Berlins. Wenn Sie Ideen für eine Veranstaltung in der Lettrétage haben oder als Literatur-Aktivist*in kostenfrei unsere Räume nutzen wollen, dann kontaktieren Sie uns. Als Ankerinstitution für die freie Literaturszene stehen wir Ihnen mit unserer Infrastruktur gerne zur Seite.

Bitte beachten Sie: Damit Sie Literatur weiterhin live erleben können, finden alle Veranstaltungen unter Beachtung der aktuellen Hygienemaßnahmen statt. Für alle Veranstaltungen in der Lettrétage gilt 3G. Besucher*innen der Lettrétage müssen nachweislich geimpft, genesen oder getestest sein; das gilt für sämtliche Veranstaltungen unabhängig der Größe. Außerdem müssen sie durchgehend in allen Räumlichkeiten der Lettrétage eine FFP2-Maske tragen.