Timo Berger über das Projekt „Topografien des Künftigen“

Wir freuen uns auf das Literaturprojekt „Topografien des Künftigen“, das Autor*innen aus Berlin und Buenos Aires zusammenbringt und nach der Stadt in der Literatur befragt. Auch in der Lettrétage wird eine Veranstaltung des Projekts stattfinden, am 23. Mai mit Ulrike Draesner und Tamara Tenenbaum. Wir haben mit dem Projekt-Initiator Timo Berger über Idee und Anlass von „Topografien des Künftigen“ gesprochen.

© Paul Rother

Im Rahmen des Projekts „Topografien des Künftigen“ erkunden Schriftsteller*innen aus Buenos Aires und Berlin beide Städte und verfassen Texte, die sich mit den Veränderungen des urbanen Raums auseinandersetzen. Wenn du so viel schon verraten kannst: Welche Themen sind dabei besonders präsent?

Ich bin selbst noch sehr gespannt auf das, worauf sich die Schriftsteller*innen stürzen. Vier von ihnen sind in den vergangenen Wochen schon jeweils zu zweit auf Expedition gegangen. Aus den Gesprächen danach kann ich sagen, dass ein Ausgangspunkt natürlich immer die Veränderungen sind, die man selbst am direktesten mitkriegt, im eigenen Kiez. Max Czollek hat Alan Pauls durch den Friedrichshain geführt, Lucy Fricke Gabriela Cabezón Cámara durch Kreuzberg. An den Routen lassen sich virulente Themen erfahrbar machen. Neue Townhouses auf einstigen Brachen, aber auch Projekte wie die Prinzessinnengärten, die selbstverwaltetes Urban Gardening organisieren – und vielleicht so etwas wie eine Spur der Möglichkeiten eines alternativen Ansatzes der Stadtentwicklung legen. Interessant ist natürlich, aus welcher Perspektive geschrieben wird, ob nun die argentinischen Autor*innen dasselbe in den Fokus rücken wie ihre deutschen Kolleg*innen oder trotz der vielen Kräne auch die vielen Bäume sehen – und vor allem wie sie diese Erfahrung der gemeinsamen Stadterkundung literarisch verarbeiten. Schreiben sie ein Gedicht, einen Essay oder eher eine autobiografische Skizze. Kann man mit diesen Texten eine neue literarische Karte der Stadt zeichnen oder entsteht eher ein Pamorama subjektiver Empfindungen und Assoziationen? Welche Rolle spielen die verwachsenen Narben der Geschichte Berlins, die immer noch im Stadtbild präsent sind?

Anlass für das Projekt ist ja die 25-jährige Städtepartnerschaft von Berlin und Buenos Aires. Gibt es darüber hinaus Parallelen zwischen den beiden Städten? Sie scheinen ja auf den ersten Blick erst einmal sehr unterschiedlich zu sein.

Ich denke, dass die Städte einiges verbindet – vielleicht muss man auf der zeitlichen Achse den Blick etwas weiten. Ein Freund von mir hat einmal gesagt, Berlin schaut auf Buenos Aires und erblickt das Berlin der Zukunft. Er meinte damals den Umgang mit den Migrant*innen. Buenos Aires ist eine Stadt, die von Migrant*innen zu dem gemacht wurde, was sie heute ist. In Berlin haben wir heute die Situation, uns zu fragen, wie binden wir Menschen aus anderen Ländern besser ein, wie bekommen wir sie auch in die Verwaltung und in die politischen Strukturen der Stadt. Die Stadt ist ja nicht nur die „tote“ Materie, die Infrastruktur und die Bauwerke. Die Stadt besteht ja zu einem genauso großen Teil aus ihren Einwohner*innen. Dieses dynamische Element des Berlins der vergangenen Jahre, das kann man sicher vergleichen mit dem Buenos Aires der 1920er Jahre. Man kann natürlich auch andere Momente betrachten – beide Städte sind unbestreitbar Literaturhauptstädte ihrer Länder – es wäre also auch möglich, ein literarisches Netz aufzuspüren, das Autor*innen beiderseits des Atlantiks seit vielen Jahren verbindet.

Die Autor*innen sind in jeweils drei Tandems aufgeteilt. Gibt es etwas, das alle Teilnehmenden verbindet in ihrem jeweiligen Schaffen?

Die Teilnehmer*innen wurden von mir so ausgewählt, dass ich dachte, es ist wichtig, sie müssen miteinander ins Gespräch kommen können. Es sollte Anknüpfungspunkte geben – ob es die gibt, habe ich in Vorgesprächen und durch die Lektüre ihrer Texte eruiert. Es war mir auch wichtig, einen intergenerationalen Dialog zu ermöglichen. Denn oft gibt es ja diese Teilwahrnehmung, dass man in einer Stadt immer die Stadt seiner (verlängerten) Jugend sieht, und sich aktuellen Entwicklungen zum Stück aus Nostalgie nicht mehr so öffnet, wie jemand, der „neu“ in die Stadt kommt. Tamara Tenenbaum ist eine sehr junge argentinische Autorin, die mit Ulrike Draesner durch den Prenzlauer Berg spazieren wird, die gerade ein Buch über das Älterwerden geschrieben hat.

Entstehen sollen bei dem Projekt „innovative Stadtbeschreibungen“. Was macht das Innovative eines solchen Texts für dich aus?

Das ist natürlich ein Desideratum. Und wir werden erst auf den Veranstaltungen sehen, wie gut das in der Kürze der gegebenen Zeit gelingt. Aber: Die ausgewählten Autor*inenn sind durch die Weise, wie sie schreiben, ausgewählt worden. Und ich bin sicher, dass sie nicht den Blues der Gentrifizierung spielen werden – und auch ein Herz für Tourist*innen haben. Innovativ kann die Perspektive sein, aus der man über die Stadt schreibt, der Ausschnitt, den man wählt, die Sprache, die Metaphorik. Aber auch der Rhythmus, das Stakkato der Sätze. Innovativ kann aber auch eine bestimmte Art von feinem Humor sein, der in seiner Unaufdringlichkeit Probleme anreißen kann, aber sich in den Dienst einer vereinfachenden Darstellung stellt. Die Stadt ist so vielschichtig und dynamisch wie ihre Einwohner*innen. Aber Schriftsteller*innen und auch Liedermacher*innen und heutzutage Rapper*innen haben immer wieder Bilder und Beschreibungen entworfen, die geholfen haben, Identitäten mitzuformen.

Das Projekt heißt ja „Topografien des Künftigen“. Wie sieht der Bezug auf das „Künftige“ konkret aus?

Das Künftige ist das, was im Entstehen ist. Die Chancen der Transformation. Natürlich sind die Brachen verschwunden. Andererseits wurde auch ein riesiges Gelände wie im Fall des Gleisdreieckparks der Stadtgemeinschaft zurückgegeben. Zwei fast völlig voneinander getrennte Quartiere sind nun wieder verbunden. Mir fiel bei Roberto Arlt auf, dass er das Buenos Aires der 1920er und 1930er Jahre eine Spur moderner beschrieb, als es damals tatsächlich war. Er sah also schon die künftige Stadt. Und daraus erwuchs auch die ungeheure Dynamik seiner Beschreibungen der Calle Corrientes zum Beispiel, der Vergnügungs- und Amüsiermeile der argentinischen Hauptstadt.

Timo Berger, geboren 1974 in Stuttgart, lebt nach Aufenthalten in Argentinien, Brasilien, Peru, Paraguay und Polen heute als freier Autor, Journalist und Übersetzer in Berlin. Als Übersetzer hat er sich bislang vor allem der zeitgenössischen lateinamerikanischen Lyrik und Prosa gewidmet. Seit 2006 kokuratiert er das Festival zeitgenössischer lateinamerikanischer Lyrik „Latinale„.