Worum geht es bei TextKörper – KörperText?

Nach langer Vorbereitung ist es jetzt soweit: „TextKörper – KörperText“ kommt auf die Bühne der Lettrétage! Für uns ist das extrem aufregend, denn „TextKörper – KörperText“ ist für die Lettrétage ein besonders wichtiges Projekt, für das wir wieder mit der Literaturinitiative „handverlesen“ kooperiert haben. Vier Taube haben mit zwei hörenden Künstler*innen intensiv zusammengearbeitet – und wir haben dabei eine Menge gelernt.

Worum es genau bei „TextKörper – KörperText“ geht, was die Hintergründe des Projekts sind, warum es wichtig ist und was Sie an den beiden Abenden (5. und 6. November in der Lettrétage) erwarten können – darüber haben wir mit der Projektleiterin Franziska Winkler gesprochen.

Worum geht es bei „Text Körper – Körper Text“?

Hörende und Taube Autor*innen begegnen einander als Literaturschaffende mit denkbar ungleichen künstlerischen Voraussetzungen. Wie kann dennoch oder gerade deswegen eine Zusammenarbeit funktionieren? Bei Text Körper — Körper Text geht es genau darum. Wir haben vier Taube Künstler*innen gemeinsam mit zwei hörenden Autor*innen und einen Sounddesigner eingeladen, miteinander eine literarische Veranstaltung zu entwickeln.

Folgende Fragen begleiteten die Künstler:innen dabei: Wie können lautsprachliche literarische Texte verkörperlicht werden, wie Gebärdensprachliteratur verschriftlicht? Welche künstlerische Sprache kann gemeinsam geschaffene, körperliche Literatur abbilden, interpretieren, kommunizieren? Können die literarisch konstitutive Körperlichkeit von gebärdensprachlicher Literatur aufgebrochen werden, können Körper- oder Geschlechtergrenzen verschwimmen? Wenn ja, wie? Kann (oder muss sogar) schriftsprachliche Literatur und ihre oralen Traditionen in ihren körperlichen Aspekten neu entdeckt bzw. neu erfunden werden?

Wie ist das Projekt entstanden? Was war der Ausgangspunkt?

Ausgangspunkt war das vorangegangene Projekt von „handverlesen“: „Text kommt in Bewegung“, das wir mit der Lettrétage als Kooperationspartner durchgeführt haben. „Text kommt in Bewegung“ war ein Übersetzungsprojekt an dem 5 Taube und 6 hörende Autor*innen beteiligt waren, die jeweils in Tandems ihre Poesien übersetzt haben. Hier ging es noch sehr um die einzelnen Werke und die intensive Auseinandersetzung und das Aufklappen der Inhalte. Während der Workshoptage und nach der Veranstaltungsreihe kam die Idee auf einen Workshop zu entwickeln der eine gemeinsame Text/Performance Arbeit vorsieht, hier mal die unterschiedlichen Formen zu verbinden und zu schauen was Möglich ist, welche gemeinsame Schnittmengen in der Entwicklung von Stücken vorhanden sind und welche Grenzen vielleicht sogar aufkommen.

„Text kommt in Bewegung“ war sozusagen der Ausgangspunkt und hier habe ich angeknüpft und gemeinsam mit der Lettrétage weiter nachgedacht und dieses gemeinsame Workshop-Format entwickelt. Die Kollaboration mit der Lettrétage ist in der Form einzigartig und ein wichtiger Ausgangspunkt für die Vermittlungsarbeit von „handverlesen“. Der Taube Kulturbetrieb findet oftmals in sehr geschlossen Räumen statt – die natürlich auch sehr wichtig für die Community sind. Mit „handverlesen“ engagieren wir uns aber vor allem dafür, genau dort aufzutauchen, wo Gebärdenpoesie bisher kaum sichtbar war. Seit 2019 arbeiten wir eng mit der Lettrétage zusammen, die als Ankerinstitution genau diese Schnittstelle bedient. Uns geht es bei „handverlesen“ um die stärkere Präsenz gebärdensprachlicher Poesie und Prosa in der hörenden Literaturwelt. Und genau da setzt die Lettrétage an und hat somit eine, wie ich finde, Vorreiterfunktion im Literaturbetrieb.

Den beiden Abendveranstaltungen ging ja eine längere Workshop-Phase des Projekts voraus. Was ist dort konkret geschehen?

Die fünftägige Werkstatt war als Experiment angelegt, in dem sich die Autor*innen frei begegnen konnten – Vorgaben inhaltlicher oder ästhetischer Art gab es nicht. Vielmehr formulierten sie aus ihrer eigenen künstlerischen Praxis heraus Themen und Herangehensweisen für eine literarische Performance. Folgende Fragen begleiteten die Teilnehmer*innen dabei: Wie können lautsprachliche literarische Texte verkörperlicht werden? Wie kann Gebärdensprachliteratur verschriftlicht werden? Und wie kann eine gemeinsame Textart entstehen? Die Tauben und hörenden Autor*innen haben in unterschiedlichen Konstellationen Poesien, Performances und Tanzstücke entwickelt und sich durch die Verschmelzung unterschiedlicher künstlerischer Disziplinen einer gemeinsamen literarischen Sprache angenähert. Vorgaben inhaltlicher oder ästhetischer Art gab es nicht, vielmehr formulierten die Künstler*innen aus ihrer eigenen künstlerischen Praxis heraus Themen und Herangehensweisen für eine literarische Performance, von der sich das Publikum nun überraschen lassen darf. Die Künstler*innen werden Einblick in ihren gemeinsamen Arbeitsprozess geben und damit ein „work in progress“ präsentieren.

Was können wir an den beiden Abenden erwarten? Wer wird auftreten?

Anstatt „fertiger Ergebnisse“ werden die Künstler*innen Einblicke in ihren gemeinsamen Arbeitsprozess geben und damit „work in progress“ präsentieren. An beiden Abenden bekommt das Publikum so eine explorative Performance zu sehen, die sich zwischen visueller Poesie, Gebärden- und Soundperformance, Tanz und dem geschriebenen Wort bewegt. Die beiden Tauben Künstler*innen Dana Cermane und Jonathan Savkin haben eine Poesie entwickelt, die sich gebärdensprachlich mit der menschlichen Erregungskurve befasst. Die hörende Lyrikerin Anna Hetzer ergänzt diese Performance mit einer Form der konkreten Poesie. Dabei wurde Text zu Körper und umgekehrt. Ein Stück von Laura-Levita Valyte befasst sich mit dem Rauschen auf unterschiedlichem Ebenen, die Taube Künstler*in, die sich vor allem viel im Musikdolmetschen auch bewegt, wird dabei von dem Sounddesigner Tim Schwerdter begleitet, hier war es uns wichtig, dass die Musik sich ihrer Performance anpasst und nicht umgekehrt und dass der Sound spürbar für alle im Publikum wird. Eine weitere gemeinsame Arbeit, die in der Werkstatt entstanden ist und darüber hinaus noch weiterentwickelt wird, ist die Zusammenarbeit der beiden Tänzerinnen Jan Kress (Taub) und Tabea Xenia Magyar (hörend). Sie haben sich gebärdensprachlich mit einem lyrischen Text auseinandergesetzt und werden diesen nun in einer Tanzperformance darstellen.

Das Projekt ist ja gleichzeitig eine Forderung nach mehr Inklusion und Barrierefreiheit im Literaturbetrieb. Woran fehlt es eurer Meinung nach in diesen Bereichen noch?

Es fehlt ganz klar nach wie vor an der Präsenz und Beteiligung Tauber Künstler*innen. Das Thema Inklusion und Teilhabe wird gerade oft nur im Bereich des Publikums gedacht. Minimal werden Lesungen in Deutsche Gebärdensprache simultan gedolmetscht. Das ist ein erster Schritt, aber er reicht meiner Meinung nach nicht aus. Der Kulturbetrieb muss sich mehr und mehr öffnen für Taube Künstler*innen: Werkstätten, Workshops, Veranstaltungen anbieten die auch Gebärdensprach-Künstler*innen mit einbeziehen und hier mehr Möglichkeiten bieten, dass diese Kunst gesehen wird. Dadurch wird auch ein viel größeres Taubes Publikum erreicht. Nach wie vor gilt die Forderung von „handverlesen“: Ein neues Verständnis von Literatur, das nicht nur schriftliche, sondern auch visuell, gebärdende Texte einschließt. Die hörende Literaturwelt braucht endlich gebärdensprachliche Poesie und Prosa, sowie eine stärkere Präsenz Tauber Künstler*innen auf der Bühne und in Büchern.

Hier erfahren Sie mehr über die Literaturinitiative „handverlesen“.