„Der Mantel der Erde ist heiß und teilweise geschmolzen ist ein Roman über Fremdheit und Einsamkeit, über private und politische Gefährdungen, ein Roman über den Wunsch, zu verschwinden, und die Hoffnung, gesucht und geborgen zu werden, wenigstens in der Erinnerung, im Gespräch. Denn das Verschwinden setzt vielem ein Ende, nicht aber dem Erzählen. […] Ihre Suche nach Nelly nimmt mehr und mehr die Züge einer Flucht an.“
1. Wovor flieht die Protagonistin? Wird da schon was darüber verraten?
Nina Bußmann: Nicht viel, sie selbst sagt: Mit dem Wort Flucht sollte man doch heute ein bisschen vorsichtig sein. Sie konzentriert sich auf die Suche nach ihrer in Nicaragua verschollenen Freundin. Sicher vermeidet sie da etwas, die Beschäftigung mit sich selbst. Dafür erfährt sie was anderes.
2. Was ist mit privaten und vor allem politischen Gefährdungen gemeint? Hat das etwas mit derzeit in ganz Europa zu beobachtenden Entwicklungen zu tun?
NB: Beschädigte Natur, Kämpfe um politische und ökonomische Teilhabe, Konflikte zwischen Metropole und Peripherie, Hilflosigkeit im Umgang mit Unbekannten, religiöses Eifern, Kriegs- und postkoloniale Traumata, sexualisierte Gewalt: Der Text spielt in Deutschland und Nicaragua, im 21. Jahrhundert. Einen Überblick über die Verhältnisse gibt er nicht. Es geht um Menschen, die versuchen, ein gelingendes Leben zu führen: Umweltaktivistinnen, Forscherinnen, Security-Arbeiter, gläubige Christen kommen vor, ein Künstler, der nicht ausstellen will, unter anderem. Einzelne, die keinen Überblick über die Verhältnisse haben, aber liebes- und lebensfähig bleiben wollen.
3. Verraten Sie uns schon etwas über die Passage/n die Sie vorlesen werden? Werden da die Spannungsbögen erst einmal „nur“ angedeutet oder geht es auch schon ans „Eingemachte“?
NB: Ich habe auf einer Internetseite für Selbstversorger nochmal nachgelesen, was „Eingemachtes“ beziehungsweise Einmachen bedeutet. Obst und Gemüse werden in luftdicht verschlossene Gläser abgefüllt und über eine längere Dauer gekocht. Mit Kuchen funktioniert es angeblich auch. Keime, Pilzsporen und Salmonellen werden abgetötet. Beim Abkühlen entsteht starker Unterdruck in den Gläsern und damit ein konservierendes Vakuum. Es geht darum, etwas Lebendiges und sehr Vergängliches vor dem Verderb zu bewahren. Wenigstens für eine Zeit lang (meine Quellen sprechen von nicht mehr als einem Jahr), wenigstens die Substanz, Zucker, Energie. Es gibt also Ähnlichkeiten mit dem literarischen Herstellungsprozess. Das meiste läuft völlig anders. Es ist ja nicht die Aufgabe von Literatur, zu sterilisieren. Was ist die Substanz? Beim Einkochen gehen eine Menge Mikroorganismen und Nährstoffe kaputt. Im Roman spielt Erkenntnis eine wichtige Rolle, es kommen Wissenschaftler vor und das ganze ist als Detektivgeschichte angelegt. Ich sage es lieber gleich: Die Erzählerin ist eine sehr schlechte Detektivin, sie arbeitet nicht ergebnisorientiert. Wir erfahren nicht, wer der Mörder ist, niemand im Text findet, was er gesucht hat. Oft ist es ja aufregender, etwas zu finden, was man gar nicht gesucht hat.
Das Gespräch führte der Kulturjournalist Michael Lösch.
Am Mittwoch, den 15. März 2017 findet um 20:00 Uhr in der Lettrétage die Premiere des neuen Romans „Der Mantel der Erde ist heiß und teilweise geschmolzen“ von Nina Bußmann statt.