„Wir haben uns gefragt, was wir verändern können“ – Interview mit Karsten Strack über das nachhaltige Literaturfestival LiTOPIA

Vom 15. bis zum 18. Februar 2024 findet in Bielefeld „LiTOPIA – Das nachhaltige Literaturfestival“ statt. Projekte dieser Art finden wir besonders spannend, weil wir davon lernen können, wie wir mit unseren eigenen Nachhaltigkeitsbestrebungen weiterkommen. Wir haben deshalb mit Karsten Strack, dem künstlerischem Leiter des Literaturbüros Ostwestfalen-Lippe über die Planung, den Inhalt und die Besonderheiten des Festivals gesprochen.

Herr Strack, das Literaturbüro OWL veranstaltet nächstes Jahr ein neues Literaturfestival. Können Sie kurz erklären, um was es geht? Wie sieht das Programm aus?

Wir werden ein Festival mit dem Titel „LiTOPIA“ machen. Unser Plan ist es, in der Region Ostwestfalen-Lippe, wo unser Literaturbüro ansässig ist, ein Literaturfestival zu organisieren, das sich nicht nur inhaltlich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, sondern auch in der Durchführung, soweit es geht, klimaneutral ist. Das ist der Ansatz von LiTOPIA. Begonnen haben wir mit der Entwicklung im Jahr 2022 mit der Hilfe des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft in Nodrhein-Westfalen. Das Festival wird an vier Tagen im Februar 2024 stattfinden. Wir starten mit einer Musikveranstaltung am 15. Februar als Auftakt: Die Band Dota, die im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz durch den Hit „Keine Zeit“ bekannt ist, wird das Festival einläuten. Dota hat auch ein literarisches Programm, welches sie gerade in kleineren und mittleren Locations spielen, was natürlich eine schöne Anknüpfung an unser Literaturfestival ist. Am 16. werden wir ein oder zwei Workshops mit jungen Menschen veranstalten. Es wird auf jeden Fall einen Schreibworkshop zum Thema Nachhaltigkeit im historischen Museum Bielefeld zusammen mit einer Realschule geben. Am Samstag dem 17. und Sonntag dem 18. Februar ist in den Räumlichkeiten der VHS Bielefeld dann das Kernfestival. Da wird es dann jede Menge Musik, Rezitationen und Panels zum Thema Nachhaltigkeit geben – alles bezogen auf Literatur. Wir haben zum Beispiel einen Rezitationsabend mit Anna Thalbach, die T. C. Boyles Klimaroman lesen wird. Außerdem wird es eine Lesung von Zoë Beck geben, einen Poetry Slam und unterschiedliche Diskussionspanels mit Kick-off-Vorträgen zu den jeweiligen Themengebieten.

Was zeichnet ein nachhaltiges Festival aus? Welche Maßnahmen werden ergriffen, um nachhaltig zu sein?

Wir wissen, dass wir keine Klimaneutralität erreichen werden. Es sei denn, wir würden Ausgleichszahlungen vornehmen. Wir haben aber darauf verzichtet. Unser Ziel ist es, ohne Kompensationen so nah wie möglich dran zu kommen. Das bedeutet auch, dass wir unsere Emissionen tracken. Nicht nur bei der Durchführung des Festivals, sondern seitdem wir in die Planung eingestiegen sind. Es ist natürlich klar, dass das Catering nachhaltig und regional sein wird. Und wir werden unsere Besucher:innen fragen, wie sie angereist sind. Im Idealfall entsteht hier eine Art Blaupause für alle, die vorhaben, ein klimaneutrales Literaturfestival zu veranstalten. Wir wissen, dass es in der Musikbranche schon solche Bestrebungen gab. Wir wollen in der Literaturbranche den Anfang machen. Wir sind keine Profis und nicht von vornherein ein nachhaltiger Betrieb. Aber alle Mitarbeiter:innen machen sich in den letzten Jahren verstärkt Gedanken um das Thema. Deswegen haben wir auch unsere Ökobilanz in den letzten Jahren verbessern können. So sind wir dann auch das Festival angegangen. Wir haben uns gefragt, was wir verändern können, um sozusagen die Waage in Richtung eines nachhaltigen Festivals deutlich kippen zu lassen.

Wer ist die Zielgruppe? An wen richtet sich LiTOPIA?

Die Zielgruppe ist sehr breit. Wir haben ein Angebot für jüngere Menschen und für ein etabliertes Hochkulturpublikum. Wir glauben ganz stark, dass wir Menschen unterschiedlicher Altersgruppen ansprechen, die sich für das Thema Nachhaltigkeit interessieren. Ich glaube, dass das dann auch etwas mehr Menschen sind als bei unseren sonstigen Veranstaltungen. Aber wir zielen auch auf das breit gefächerte Kulturpublikum ab. Auch vielleicht Menschen, die sich mit dem Thema Klimaschutz/Nachhaltigkeit noch gar nicht so beschäftigen. Ich glaube, dass es ein bunte Mischung wird, wir wollen ja auch keine Person ausschließen.

Wie lief es bisher mit der Planung, gab es Schwierigkeiten? Ist die Organisation aufwendiger als bei einem „normalen“ Literaturfestival?

Ja, es ist definitiv aufwendiger. Wir haben allerdings schon damit gerechnet, dass es so sein wird. Und deswegen haben wir uns auch Unterstützung geholt. Auf der einen Seite haben wir Expert:innen, die uns seit 2022 beraten. Das sind Menschen aus dem Kulturbereich und dem Nachhaltigkeitsbereich, die uns schon im Vorfeld auf Unwegsamkeiten aufmerksam machen konnten. Diese Expertise war sehr hilfreich. Wir haben auf der anderen Seite auch Unterstützung durch regionale Player. Wir arbeiten eng mit dem Welthaus in Bielefeld zusammen. Das Welthaus macht seit vielen vielen Jahren Nachhaltigkeitsprojekte im Kulturbereich. Mit denen haben wir uns eng vernetzt und haben so unglaublich viel Expertise und Hilfestellung erhalten. Außerdem merken wir, dass wir unglaublich viel Unterstützung bekommen, wenn wir von diesem Thema und unserem Projekt sprechen, wie z.B. von der Lettrétage.

Wie war die Reaktion bei den angefragten Künstler:innen? Welche Locations wird es geben?

Die Reaktion war ausnahmslos gut. Es gibt einige Leute, die auf uns zugekommen sind und vorgeschlagen haben, auf einen Teil der Gage zu verzichten. Es gibt Künstler:innen, die wir sonst für unser Budget nicht bekommen hätten. Schon bei den Anfragen haben wir gemerkt, dass es eine große Leidenschaft für das Thema gibt. Aus verschiedenen Gründen konnten wir erst relativ spät mit den Anfragen beginnen. Aber dafür haben wir jetzt wirklich ein gutes Line-up. Wir haben insgesamt während des Festivals fünfzehn Slots, zum jetzigen Zeitpunkt sind nur noch zwei zu besetzen. Die größte Location ist die, in welcher die Band Dota spielen wird. Dort passen ungefähr 600 Menschen rein. Dann haben wir noch einen Ort mit einer Kapazität von 300 Personen. Außerdem gibt es auch noch eine kleiner Location für 50 Besucher:innen. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir diese unterschiedlichen Größenordnungen ganz gut bestücken können.

Was sollen die Besucher:innen mitnehmen aus dem Literaturfestival?

Die Hoffnung, die wir haben, ist eine weitere Sensibilisierung für das Thema. Also eine weitere Sensibilisierung für das Thema im Kunstkontext, speziell im Literaturkontext. Wir laden ja ganz bewusst Personen ein, die sich in ihren Werken thematisch damit beschäftigen. Ich glaube, dass die Kunstrezeption eines Themas etwas anderes ist als etwa die Sachbuchrezeption. Es geht beim Festival darum, literarische Verarbeitungen oder literarisch-musikalische Verarbeitungen zum Thema Nachhaltigkeit vorzustellen. Ich merke immer selbst, dass ich mich gerne von Kunst thematisch abholen lasse. Für mich funktioniert eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Gesellschaft am besten über Kunst. Ich glaube, das teile ich mit vielen Menschen. Unsere Hoffnung ist, dass wir auf eine undogmatische Art ein Angebot schaffen, das keine Person ausschließt. Wir haben auch unsere Preisgestaltung deswegen angepasst. Wir haben alle Eintrittspreisen – verglichen mit unseren sonstigen Veranstaltungen – gesenkt und bieten sogar einige Veranstaltungen komplett kostenfrei an. Damit das Festival so niedrigschwellig wie möglich ist. Wir wollen LiTOPIA zudem möglichst wirtschaftlich barrierefrei gestalten. Jede Person hat Zugang zu den Veranstaltungen. Wir sind aber leider nicht vollständig barrierefrei, wir haben z.B. keine Gebärdensprachdolmetschung.

Wird das LiTOPIA nur dieses eine Mal stattfinden? Oder soll daraus ein regelmäßig stattfindendes Literaturfestival werden?

Wir hoffen nicht, dass es einmalig bleibt. Wir haben immer gesagt, dass das eigentlich der Auftakt für etwas größeres ist, was wir in ganz NRW ausspielen möchten. Wir wollten in unserer Region den Anfang machen. Zuerst haben wir gedacht, dass wir diesen Plan im Jahr 2025 ausführen könnten. Aber wir mussten feststellen, dass wir bereits recht lange für dieses „kleine“ Literaturfestival gebraucht haben. Deswegen glauben wir, dass 2026 ein guter Moment ist, um diese größere Reihe in Angriff zu nehmen. 2025 können wir dann zur Planung nutzen. Wir haben bereits eine Anfragen bekommen, ob wir uns vorstellen könnten, solche Festivals in ganz Deutschland auszurichten. Vielleicht starten wir in der Literatur eine Bewegung, wer weiß. Wir gehen da ganz entspannt ran, denn wir sind mit diesem Projekt ja noch nicht fertig. Zuerst brauchen wir eine fundierte Auswertung. Dafür werden wir vom Wuppertaler Institut für Klima und Nachhaltigkeit unterstützt, die uns beraten und sich unsere Auswertung anschauen. Wir denken darüber nach – wenn uns die Dokumentation des Literaturfestivals gut gelingt – diese wirklich allen interessierten Kulturschaffenden zur Verfügung zustellen. Dann kann sich dann jede Institution, jede Einzelperson, das Beste aus dem Konzept aussuchen. Wir werden natürlich auch dokumentieren, was wir nicht geschafft haben. Wir werden nichts beschönigen. Wenn wir die fünf bis sechs zentralen Punkte nicht zu 100% abgearbeitet haben, dann werden wir das auch schreiben und begründen. Zukünftige Projekte können sich dann überlegen, was sie anders machen wollen. Das Tracking unserer Emissionen kann auch nicht super genau sein. Es gibt Dinge, die an der einen oder anderen stelle basic bleiben müssen. Wir glauben aber, dass wir selbst mit einer solchen Analyse mehr machen als bisher alle anderen, die vorher Literaturfestivals organisiert haben. Deswegen: das ist ein Auftakt, das kann ja nicht mehr als ein Auftakt sein. Aber es ist einer.