Die Lettrétage im Dezember

Die Dezemberveranstaltungen in der Lettrétage beschäftigen sich mit den dunklen und schwierigen Seiten des Lebens. Aber zum Glück dringt auch ab und zu ein Hoffnungsschimmer durch.

Am 1. Dezember liest Malina Bura aus ihrem Debütroman DER GESCHMACK MEINER JUGEND. Die Protagonistin Malina verbringt ihre Kindheit und Jugend der Nullerjahre im nördlichsten Dorf Sachsen-Anhalts: eine Kirche, ein Spielplatz, einundsiebzig Straßenlaternen, knapp zweihundert Einwohner. Und das als Kind von zugezogenen ‚Wessi‘-Eltern. Nach einer unschönen Trennung von Mutter und Vater verfällt sie in Depressionen. Erst ‚der Junge‘ rettet sie. Doch nach einem eskalierten Streit ist die Beziehung geprägt von psychischer und physischer Gewalt. Es beginnt ein Kampf um Selbstbestimmung und ein normales Leben. Begleitet wird die Autorin an diesem Abend von Linda Karaca, die moderieren wird.

DER HIMMEL MUSS WARTEN, das Debüt von Sandra Reichert, handelt von Maria Parker, die wegen mehrfachen Suizidversuchs in einer Klinik landet. Ihr wichtigster Wunsch im kargen Gepäck: einen Menschen zu finden, mit dem sie gemeinsam aus dem Leben scheiden kann. Es kommt jedoch anders, und die Protagonistin erzählt sich zurück in die Welt – gegen ihre Überzeugung, das Leben sei eine Zumutung. Wie der Roman soll auch dieser Abend Hoffnung vermitteln. Deswegen findet die Lesung am 2. Dezember in Begleitung von Gebärdensprachbotschafterin Nova Silencemere statt. Als gehörlose Autorin steht sie für die Verbindung von zwei Welten und ist selbst Brückenbauerin.

Joey Juschka will die Welt verbessern – zumindest literarisch. Deswegen stellt Joey am 3. Dezember FIKTIVE LÖSUNGEN FÜR REALE PROBLEME vor. In Joeys aktuellem Buch geht es unter anderem um Straßen, die nach Urin stinken, Toiletten, für die man 50 Cent hinblättern muss und Tampons, die man auch nirgends so richtig wechseln kann. Und dann ist da auch die Klimakrise, die noch nicht gelöst ist. In Kurzgeschichten erzählt Joey außerdem von Gesetzen, die es für eine bessere Welt wirklich bräuchte: eine Welt ohne zu Hause im Alleingang putzende Frauen, eine Welt ohne Lohngefälle zwischen Er und Sie oder eine Welt ohne Drei-Sitze-in-der-U-Bahn-Beleger.

Im SALON SCHELF am 7. Dezember geht es um Aksel Sandemoses Roman EIN FLÜCHTLING KREUZT SEINE SPUR. Ligia Liberatori, Daniel Breuer, Sebastian Guggolz und Klaus Ungerer nehmen sich des berühmtesten Buches des Wahlnorwegers an und versuchen, dem Werk gerecht zu werden. Anlass hierfür ist die 2019 erschienene Neuübersetzung des Romans, die unter anderem im Deutschlandfunk Widerhall gefunden hat. Der Text beginnt mit einem alarmierenden Geständnis: „Jetzt will ich alles erzählen. Und ich muss mit dem Ende anfangen. Sonst würde ich mich niemals bis dahin vorwagen. Ich habe einmal einen Menschen getötet.“ Ob der Mord tatsächlich stattgefunden hat, erfährt man nicht. Doch er dient als Anlass, vom sozialen Gefüge einer Kleinstadt zu erzählen. Das heute in Skandinavien noch bekannte „Gesetz von Jante“ ist eine Auflistung von kulturellen Regeln – eine sarkastische Nachbildung von Moses Zehn Geboten, die Kritik an den sozialen Zwängen der Gesellschaft üben.

Zum dritten Mal ist Paul Brody in der Lettrétage zu Gast. Am 8. Dezember wird der Komponist und Klangkünstler LIVE ELECTRONICS & POETRY: LOVE&DEMOCRACY PART 3 aufführen. Die Kompositionen sind von den Stimmen der von ihm aufgenommenen Dichter:innen inspiriert. In dieser Ausgabe wird von Gefühlen der Zugehörigkeit und Ausgrenzung erzählt. Die Dichterin und Aktivistin Katherina Oguntoye berichtet etwa davon, wie sie als Afrodeutsche in Zwickau aufwuchs. Und Isaac Goodman, queer Poet, erinnert sich satirisch an eine Diskussion mit their Arzt über Weiblichkeit. Um eine einzigartige Klanglandschaft für jede Stimme zu schaffen, fragte Brody die Dichter:innen nach den Klängen, die sie mit dem ausgewählten Gedicht assoziieren. Diese Klänge sammelt er in seinem Sampler ein, den er an diesem Abend mitbringen wird. Einen ersten Eindruck davon gibt es auf Pauls Instagram-Kanal.

Am 11. Dezember präsentiert The Reader Berlin THE SHINING MOUNTAINS, den neuen Roman von Alix Christie. Darin wird eine Familiensaga vor der Kulisse der amerikanischen Rocky Mountains erzählt. Im Jahr 1838 flieht der junge Schotte Angus McDonald aus seiner Heimat, um im unerschlossenen Oregon Country mit Fellen zu handeln. Dort entdeckt er eine Welt, die seine kühnsten Vorstellungen übertreffen: reißende Flüsse, Büffeljagden und die mächtige Tochter eines uralten Volkes. Die wahre Geschichte dieser Verbindung von Pelzhandel und indigener Welt basiert auf Christies eigener Familie. Alix Christie, eine direkte Nachfahrin von Angus McDonalds Bruder Duncan, traf sich mit ihren entfernten Cousins und beriet sich ausgiebig mit den Nez Perce und den Confederated Salish and Kootenai Tribes, um die Geschichte ihrer Familie zu schreiben. Die Autorin wird gemeinsam mit dem Schriftsteller, Verleger und Journalisten Joachim Zepelin den Roman vorstellen. Begleitet wird der Abend von Kurzgeschichten von Donovan Dennis.

DAS LÄCHELN DES DIONYSOS ist das bedeutendste Werk im Frühschaffen des georgischen Schriftstellers Konstantine Gamsachurdia. Seine Werke gehören zu den meistgelesenen Büchern der georgischen Literatur. Der Roman berichtet über die Erfahrungen eines jungen Georgiers, der um die Zeit des Ersten Weltkriegs ohne Ziel und Zweck durch die Länder Westeuropas zieht und seinen Platz im Leben nicht finden kann. Am 12. Dezember wird sein Urenkel Zviad Gamsachurdia aus der deutschen Erstübersetzung lesen und sich zusammen mit Katharina Wicht, der Verlegerin, darüber austauschen.

Am 16. Dezember geht es um die DIE UNMÖGLICHKEIT DES SCHREIBENS. Vier Autorinnen waren im Mai 2023 im Hôtel des Autrices in der digitalen Residenz zu Gast. Das Ziel der Residenzen war es, kollektive Stimmen durch individuelle Praxis hörbar zu machen. Das, was beim Schreiben verbindet, sollte erforscht werden, um einen Dialog zu führen und gemeinsam etwas zu erschaffen. Es stellte sich heraus, dass die Unmöglichkeit des Schreibens – aus verschiedensten Gründen – dieser verbindende Faktor war. An diesem Abend werden Gorge Bataille, Ann Gaspe, Maud Marique und Sarah-Louise Pelletier-Morin eine literarische Performance rund um dieses Thema auf die Bühne bringen. Delphine de Stoutz wird die Moderation übernehmen.

Copyrights:

Obere Reihe von links nach rechts: Malina Bura, Banksy, Joey Juschka, Klaus Ungerer

Untere Reihe: Paul Brody, The Reader Berlin, Alfredo Grados Rivero, HDA