„Ich habe mir einfach überlegt, was ich damals gern gehabt hätte“ – das Lettrétage-Projekt schreiben & leben zieht Bilanz

(c) Natalia Reich

Vor vier Jahren startete unser Projekt schreiben & leben. Bald wird daraus schreiben & leben PLUS, das die bestehenden Angebote fortsetzt und ergänzt. Eine gute Zeit, um einmal Bilanz über die letzten Jahre zu ziehen. Dazu haben wir Projektleiter Moritz Malsch einige Fragen gestellt.

Wenn du es einmal ganz knapp zusammenfassen würdest: Worum ging es bei schreiben & leben?

Es ging und geht darum, freien Literaturschaffenden dabei zu helfen, dass sie mit ihrer künstlerischen Tätigkeit ein vernünftiges, nicht prekäres Einkommen erzielen können. Das wollen wir erreichen durch kostenlose Einzelberatungen zu verschiedensten Themen der literarischen Freiberuflichkeit, durch einen jährlichen Branchentreff Literatur mit zahlreichen Austausch- und Vernetzungsmöglichkeiten, durch ein Mentoring-Programm sowie dadurch, dass wir unter dem Label „Literaturstadt Berlin“ Werbung für die Berliner Literaturszene machen.

schreiben & leben begann 2019. Warum habt ihr das Projekt damals gestartet? Gab es eine konkrete Situation, die den Anlass gab?

Ich habe zehn Jahre als freier Lektor und Literaturveranstalter gearbeitet und weiß, wie sich die freiberufliche Tätigkeit im Literaturbetrieb anfühlt. Als Selbständige:r genießt man ohnehin viel weniger sozialen Schutz, als dies bei Angestellten der Fall ist. Man muss sich um alles selbst kümmern: Die Steuer, die Akquise, das Inkasso… Im Literaturbetrieb ist man darüber hinaus oft noch von Auftraggeber:innen abhängig, die selbst knapp bei Kasse sind, weil sie eher aus Enthusiasmus denn aus Gewinnstreben arbeiten. Und vieles basiert auf Netzwerken und informellen Strukturen, über die Know-how vermittelt und Aufträge vergeben werden. Ich habe mir einfach überlegt, was ich damals gern gehabt hätte, insbesondere zu Beginn meiner Tätigkeit. Und das waren Beratung, Vernetzung, Austausch und Weiterbildung.

Und dann war ich jahrelang Literatur-Sprecher in der Koalition der Freien Szene und Vorsitzender des Netzwerks freie Literaturszene Berlin. In diesen Ehrenämtern ist mir noch in viel umfassenderem Sinne klar geworden, wie herausfordernd eine freiberufliche künstlerische Arbeit ist, wie schlecht es vielen Leuten dabei wirtschaftlich geht und wie sehr es in diesem Bereich auf Kooperation statt Konkurrenz ankommt. Wir haben uns das Performing Arts Programm des LAFT zum Vorbild genommen und ein Programm aus der Taufe gehoben, das speziell auf die Bedürfnisse der Literatur eingeht. Wir haben 2016 erstmals eine Förderung beim Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung sowie beim Berliner Senat beantragt, die dann bewilligt und 2019 für das Projekt schreiben & leben verlängert wurde. Für die Lettrétage als Ankerinstitution der freien Literaturszene war das damals so etwas wie der logische nächste Schritt.

Wie wurden die schreiben & leben-Angebote vom Literaturbetrieb angenommen?

Dass es einen großen Bedarf dafür gab, stand für mich von Anfang an außer Frage. Die Herausforderung war und ist, dass die Leute, die uns brauchen, auch von dem Angebot erfahren und zu uns finden. Diejenigen, die ohnehin erfolgreich, sehr gut vernetzt und berufserfahren sind, sind am leichtesten erreichbar – aber sie haben unser Angebot am wenigsten nötig. Deswegen haben wir uns immer bemüht, auf alle Gruppen und Nischen des literarischen Feldes aktiv zuzugehen und einen gleichen Zugang für möglichst alle zu schaffen. Je mehr uns das gelang, je bekannter wir in der Literaturszene wurden, desto besser wurden die Angebote angenommen. Beim ersten Branchentreff Literatur 2016 kamen etwa 150 Personen, beim letzten im Mai 2023 waren es schon fast 400. Und auch die anderen Angebote werden immer stärker nachgefragt. Bei unseren Einzelberatungen kommen wir der Nachfrage kaum hinterher – insgesamt haben wir im Projekt fast 1600 Personen ausführlich beraten. Unser gemeinsames Online-Ticketing-System für alle Berliner Literaturveranstalter:innen ist ein Riesenerfolg und nicht mehr wegzudenken.

Jetzt, vier Jahre später, kommt schreiben & leben zu seinem Abschluss. Welche Bilanz ziehst du insgesamt? Welche Prozesse konntet ihr anstoßen? Welcher Aspekt von schreiben & leben war dir besonders wichtig?

Der rein quantitative Erfolg ist die eine Sache. Wenn genügend Leute unser Angebot wahrnehmen, dann sichert uns das vermutlich die Förderung für zukünftige Projekte. Aber wichtig ist mir vor allem, dass wir unsere Arbeit auch wirklich gut machen, das Angebot immer weiter verbessern und dem Bedarf der Literaturszene gerecht werden. Zu den Verbesserungen gehört, dass wir verstärkt versuchen, die nicht-deutschsprachigen bzw. nicht auf Deutsch schreibenden Literat:innen, von denen es in Berlin unendlich viele gibt, in unser Angebot einzubeziehen. Wir bieten mittlerweile alle Informationen konsequent auch auf Englisch an, der Branchentreff hat eine englischsprachige Programmstrecke, und Beratungen können neben Deutsch in acht weiteren Sprachen stattfinden. Als im März 2022 zahllose Züge mit ukrainischen Geflüchteten in Berlin ankamen, waren darunter auch viele Literaturschaffende. Für sie haben wir dann ukrainischsprachige Beratungen organisiert.

In die Projektlaufzeit von schreiben & leben fiel ja auch die Corona-Pandemie. Wie habt ihr aus dem Projektteam darauf reagiert?

Andere saßen während des ersten Lockdowns zu Hause und waren blockiert – für uns hat sich die Arbeitsintensität eigentlich eher erhöht. Binnen kurzer Zeit haben wir die Beratungen, die vorher nur in Präsenz stattfanden, auf Videokonferenzen umgestellt und natürlich auch die Beratungsthemen an die neue Situation angepasst. Social Media, digitale Veranstaltungen, Crowdfunding, Blogs und Podcasts spielten plötzlich eine ganz andere Rolle. Dann mussten wir für unsere Klientel stets mit den flugs neu geschaffenen Förderinstrumenten schritthalten – Soforthilfe I, II, III und IV, Sonderstipendien, November- und Dezemberhilfe, Neustart. Der Informationsbedarf war riesig. Und natürlich mussten wir auch zwei Branchentreffs mehr oder weniger komplett digital abhalten.

schreiben & leben wird als „schreiben & leben PLUS“ fortgesetzt. Was können wir in dem neuen Projekt erwarten? Welche Projekte stehen noch an?

Seit geraumer Zeit arbeiten wir zusammen mit der Berliner Literaturkonferenz konzeptuell an dem Label „Literaturstadt Berlin“. Im Herbst werden wir damit endlich an die Öffentlichkeit geben. Der Gedanke ist, dass alle Berliner Literaturakteur:innen – Veranstalter:innen, Verlage, Bibliotheken, Buchhandlungen – gemeinsam mit den Berliner Literat:innen nach außen zeigen, wie groß, vielfältig und interessant die Berliner Literaturszene ist. Die Literaturszene ist sehr kleinteilig und hat es nicht immer leicht, neben großen Kultur-Tankern wie Opernhäusern, Theatern oder Clubs in der breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Das geht nur durch Kooperation, durch gebündelte Anstrengung, durch Wiedererkennbarkeit. Es wird eine Webseite geben, die zum Entdecken der Literaturszene einlädt, ein Corporate Design, das alle, die sich dem Literaturstadt-Gedanken verbunden fühlen, nutzen können, und das Ganze wird hoffentlich auf vielen Festivals und Veranstaltungen der Literaturszene sichtbar sein.
Daneben setzten wir bewährte Angebote wie die Beratungen, den Branchentreff, das Ticketing-System, das Veranstaltungsplakat „Berliner Literaturkalender“ und das Mentoring-Programm fort. Angedacht ist zudem, dass eine Dienstleister:innen-Datenbank für literarische Projekte geschaffen wird, um die literarische Projektarbeit zu vereinfachen und diesen Erwerbszweig mehr Leuten zu erschließen.