„Angesichts des anhaltenden Rechtsrucks im öffentlichen Diskurs […] halte ich machtkritische Kunstproduktionen für unerlässlich“ – Interview mit Sharon Dodua Otoo und Laura Paetau

(c) Fadi Elias, In-Haus Media 2022; (c) Juan Saez

Vom 24. bis 26. August ist in der Lettrétage NARR zu sehen, das erste Theaterstück der Schriftstellerin und Aktivistin Sharon Dodua Otoo. Nach dem Gewinn des Ingeborg-Bachmann-Preises 2016 veröffentlichte sie 2021 ihren Debütroman ADAS RAUM. Zuletzt ist von ihr GESAMMELTES SCHWEIGEN erschienen, ein (fiktives) Gespräch mit Heinrich Böll. Politisch engagiert sie sich unter anderem bei der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. oder dem Schwarzen und queer-feministischen Verein ADEFRA e.V. Auch Laura Paetau arbeitet zu queer-feministischen und postmigrantischen Themen. Nach der gemeinsam mit dem (heidy) Kollektiv kuratierten Ausstellung „what is queer today is not queer tomorrow“ arbeitete Sie von 2019-2021 als Dramaturgin am Schauspielhaus Zürich. Für die Inszenierung von NARR haben sich Sharon Dodua Otoo und Laura Paetau zusammengetan. Wir haben mit den beiden im Vorfeld über ihr gemeinsames Projekt und die Herausforderungen dabei gesprochen:

1. Laura Paetau, Sie arbeiten als Dramaturgin am Schauspielhaus Zürich, während Sharon ihren Lebensmittelpunkt in Berlin hat. Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit und dem gemeinsamen Stück „Narr“?

Ich habe drei Spielzeiten fest am Schauspielhaus Zürich gearbeitet und bin dem Haus bis heute über Projekte verbunden. Gemeinsam mit Thelma Buabeng bringen wir in regelmäßigen Abständen die Comedy-Show: SECURITY auf die Bühne. Am Schauspielhaus Zürich, in der Arbeit an der Inszenierung REIGEN (Regie: Yana Ross), in der 10 Autor:innen das ursprüngliche Stück von Arthur Schnitzler mit je einer Szene überschrieben haben, hat auch Sharon eine der Szenen fulminant überschrieben. So haben wir uns kennengelernt und nach meiner Zeit in Zürich liegt mein Lebensmittelpunkt zunehmend auch wieder in Berlin und ich verbinde mich aktuell erneut mit der Freien Szene in der Stadt. Die Inszenierung NARR von Sharon ist quasi mein erstes Projekt, zurück zu Hause.

2. Sharon Dodua Otoo, in der Ankündigung zum Stück paraphrasieren Sie die US-amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde. Inwieweit war sie Ihnen beim Schreiben des Stücks Inspiration oder gar Vorbild?

Das Zitat von Audre Lorde, das ich sehr frei paraphrasiere, bezieht sich eher auf die „self-care“ (Selbstfürsorge) als auf die Kunst. Lorde war jedoch auch eine Künstlerin – sie war eine brillante Dichterin – und sie nutzte die Kunst auch, um ihre politischen Ziele zu erkunden und zu verfolgen. Das Gleiche möchte ich mit meinem Schreiben tun. Wortwörtlich hat Lorde gesagt: “Caring for myself is not self-indulgence, it is self-preservation, and that is an act of political warfare” oder auf Deutsch: „Wenn ich für mich selbst sorge, ist das keine Ichbezogenheit, es ist Selbsterhaltung, und das ist ein Akt der politischen Kriegsführung“. Angesichts des anhaltenden Rechtsrucks im öffentlichen Diskurs, des Erstarkens der AfD und der entsetzlichen Dämonisierung von Schutzsuchenden (um nur drei Beispiele zu nennen) halte ich machtkritische Kunstproduktionen für unerlässlich.

3. Laura Paetau, was war oder ist beim Regie führen dieses Stückes für Sie die größte Herausforderung?

Der Text NARR von Sharon Dodua Otoo ist kein klassischer Theatertext und eher kürzer als länger. Mit der Setzung, ihn als Monolog von zwei Performer:innen – Asad Schwarz-Msesilamba und Aérea Negrot – interpretieren zu lassen, die wiederum miteinander in einen Dialog treten, verbinden sich zwei sehr unterschiedliche künstlerische Sprachen miteinander. Asad ist Schauspieler und Aérea Sängerin, DJ, Komponistin und Performerin. Wir arbeiten also an mehreren Interpretationen des Textes, laden ihn unterschiedlich auf und vergrößern verschiedene Aspekte. Wie sich diese beiden künstlerischen Sprachen der Performer*innen in Dialog setzen, davon werde ich mich selbst überraschen lassen.

4. Wen oder was verkörpert die Rolle des Narren in dem Stück?

Asad Schwarz-Msesilamba verkörpert den Narr in der Inszenierung und den Erzähler, er ist derjenige, der uns die Geschichte erzählt. Aérea Negrot verkörpert die Königin und Mutter, in der Geschichte wird sich auf sie bezogen aber eigentlich ist sie abwesend. Wir bringen die Königin auf die Bühne, als Figur, Geist oder Prinzip. In der Inszenierung arbeiten wir nicht nur eins zu eins mit Figuren, sondern auch mit Prinzipien, die für Erfahrungshintergründe, verkörpertes Wissen und Perspektiven stehen, in der Welt verortet zu sein und diese zu betrachten. Wir erzählen eine Geschichte von einem Königreich, das zugrunde geht und einer neuen Welt mit ihren Bewohner:innen, die bereits da ist.

5. Die Premiere des Stücks richtet sich als safer space ausschließlich an BIPoC. Rechnen Sie mit Kritik an dieser Entscheidung und wie würden Sie auf einen Vorwurf der Exklusivität und Exklusion reagieren?

Wir haben tatsächlich nicht mit Kritik gerechnet. Wir als Team finden die Idee extrem gut und haben bisher auch ausschließlich positives Feedback bekommen – von Menschen of Color und auch von weißen Menschen. Den meisten Menschen, die sich für unsere Arbeit interessieren, ist auch klar, warum es manchmal Räume geben muss, wo es bei der Diskussion sich nicht um Sensibilisierung oder „Abholung“ geht, sondern um etwas anderes. In diesem Fall wollen wir ein Geschenk an rassismuserfahrene Menschen machen, die so oft benachteiligt werden und trotzdem durchhalten, geduldig bleiben, nachsichtig sind. Außerdem möchten wir mit genau diesem Menschen in Austausch gehen und über verschiedene Aspekte der Privilegierung und Marginalisierung gemeinsam nachdenken.

6. Sind nach der Premiere in der Lettrétage noch weitere Aufführungen des Stücks geplant?

Wie schön das wäre! Zu Beginn unserer Zusammenarbeit haben wir gedacht, es würde lediglich eine einzige Aufführung sein. Daher ist es toll, dass wir die Möglichkeit haben werden, das Stück an drei Abenden aufzuführen. Aber wir hoffen alle, dass es nicht nur bei den Terminen bleibt. Wir freuen uns auf Einladungen im gesamten deutschsprachigen Raum!

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