Die Lettrétage im Dezember

Nach einem wirklich turbulenten November voller literarischer Events aus der freien Literaturszene Berlins, lassen wir es zum Ende des Jahres – wenn auch nur etwas – ruhiger angehen. Mit Lesungen, Buchvorstellungen und Performances von alten und neuen Freund*innen der Lettrétage bieten die ersten zwei Wochen im Dezember ein kompaktes, doch nicht minder aufregendes Programm, bevor wir uns in der zweiten Monatshälfte – zumindest veranstaltungstechnisch – in die Weihnachtsferien verabschieden! 

Bitte beachten Sie: Damit Sie Literatur weiterhin live erleben können, finden alle Veranstaltungen unter Beachtung der aktuellen Hygienemaßnahmen statt. Für alle Veranstaltungen in der Lettrétage gilt 2G+. Besucher*innen der Lettrétage müssen nachweislich geimpft und/oder genesen sein; das gilt für sämtliche Veranstaltungen unabhängig der Größe. Außerdem müssen sie durchgehend in allen Räumlichkeiten der Lettrétage einen Mund-Nasen-Schutz tragen. 

Den Auftakt macht die Veranstaltungsreihe Love, Sweat and Laughter – Winter Edition am 2. Dezember. Das Berliner Künstler*innen-Kollektiv Soul And The City bringt an diesem Abend verschiedene Vertreter*innen aus den Bereichen Literatur, Performance, darstellender und bildender Kunst zusammen auf eine Bühne. Dabei lassen die Künstler*innen nicht allein in der Praxis verschiedene Kunstformen miteinander verschmelzen, sondern öffnen auch Raum für eine theoretische Auseinandersetzung mit transdisziplinärer künstlerischer Arbeit. Ziel dabei ist es, durch die Fusion unterschiedlicher Ansätze auf die sozialen Interdependenzen unserer Gesellschaft hinzuweisen und zu verdeutlichen, was Kunst gesellschaftspolitisch bedeuten kann. Das Kollektiv fokussiert sich dabei darauf, neben unterhaltsamen, vor allem erzieherische Aspekte zwischenmenschlichen Austausches zu fördern und somit Kunst als Faktor sozialen Engagements zu etablieren. So hat es in der Vergangenheit bereits zahlreiche internationale Projekte organisiert, die zwischen künstlerischer Darbietung und politischem Aktivismus changieren – wie zum Beispiel die SaC International Days, die sich, gemeinsam mit UNICEF, für die Verbesserung von sauberer Wasserversorgung in benachteiligten Regionen einsetzen. 

Weiter geht es am 3. Dezember mit der Lesung das ad hoc – post hoc des 2019 gegründeten Lyrik-Kollektivs das ad hoc. Es besteht aus zehn dichtenden Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, die sich zusammengeschlosen haben, um der im Literaturbetrieb herrschenden ökonomischen Konkurrenz entgegenzutreten. Seitdem arbeiten sie gemeinsam an Texten und anderen lyrischen Projekten. An diesem Abend präsentieren uns die Lyrikerinnen Momo Bera, Anja Engst, Julia Dorsch, Sara Hauser, Mel Irmrey, Hannah Schraven und Kasia Wojcik im Rahmen einer klassischen Lesung ihre jüngsten Texte und zeigen damit, wie kollektives Schreiben die literarische Sprache des Einzelnen verändern kann, denn: „wo sind wir gewesen? wo haben wir gefehlt? ist uns die decke auf den kopf gefallen? haben wir die decke über den kopf gezogen? welche abstände sind wir eingegangen, welche ausreden? was steht zwischen uns. wer fehlt.

Der 6. Dezember ist ein Abend für Füchse. Zum ersten Mal lesen die Lyrikerin Monika Rinck, die 2021 den Berliner Literaturpreis erhalten hat, und der Lyriker Mikael Vogel gemeinsam aus ihren Texten, bevorzugt aus solchen, in dem der Fuchs seinen Auftritt hat. Aber auch andere Tiere werden erwähnt, bewundert, bedichtet und betrauert. Der Anlass des Abends: die Vorstellung von FÜCHSE IM APRIL, des neuen, bei der Corvinus Presse Berlin erschienenen Gedichtbands von Monika Rinck und Petrus Akkordeon. Dabei werden die beiden Verleger, Petrus Akkordeon und Hendrik Liersch, in ein Gespräch über die Texte eintreten und erläutern, wie sich gemeinsames Arbeiten an einem Buch gestaltet, wie Gedicht und Linolschnitt miteinander korrespondieren und vor allem auch, warum für Füchse unbedingt gespendet werden muss. 

Am 8. Dezember freuen wir uns auf die Buchvorstellung von Emil Ludwig: Verehrt, verfemt, verbrannt. Armin Fuhrer nimmt uns darin in das Leben des jüdischen Schriftstellers Emil Ludwig (1881-1948) mit, der heute, wie es sein Biograf selbst ausdrückt, “zu Unrecht weitgehend vergessen ist”. Emil Ludwig ist als früher Gegner des Nationalsozialismus ein Beispiel dafür, welche Auswirkungen es haben kann, wenn demokratiefeindlichen Bestrebungen nicht entschlossen genug begegnet wird. Dabei führt Armin Fuhrer nicht allein vor Augen, wie die aufkommende Diktatur dem Leben Emil Ludwigs eine schreckliche Wendung gibt, sondern vor allem auch, dass der Autor „eine schillernde Persönlichkeit war, ein Bohemien, der Kontakt zu zahlreichen Berühmtheiten seiner Zeit pflegte.“ Darunter Thomas Mann, Stefan Zweig und Erich Maria Remarque, aber auch Politiker wie Gustav Stresemann oder der US-Präsident Franklin D. Roosevelt.

Am 9. Dezember heißt es dann: Haltlose Zustände. Berliner Lyriker*innen im Gespräch. Gemeinsam mit seinen Autor*innen Anton Humpe, Elke Cremer, Sandra Rosas und Lutz Steinbrück stellt Jörg Becken, Verleger des Berliner KLAK Verlags, dessen aktuelles Programm vor. HALTLOSE ZUSTÄNDE, der Titel des neuen Gedichtbandes von Lutz Steinbrück, steht dabei wegweisend für den Abend: Nicht nur Lyrik und andere literarische Felder werden besprochen, sondern auch die internationalen Autor*innen des Verlages, Tamás Jónás (Ungarn), Anne-Marie Kenessey (Schweiz), Dimitris Lyacos (Griechenland) und Anna Terek (Ungarn), die aufgrund der aktuellen Pandemie-Situation nicht vor Ort sein können. Und als würde er eben diese Schwierigkeiten meinen, bezeichnet Tobias Roth von der Berliner Literaturkritik HALTLOSE ZUSTÄNDE als “Gedichte, die große soziale und ökonomische Zusammenhänge in den Blick nehmen. Vielleicht kann es doch richtige Lyrik im Falschen geben.”

Am 11. Dezember machen sich die Autorinnen Andrea Scrima und Ally Klein Über den Kunstbegriff in der Literatur Gedanken, indem sie ihre jüngst erschienenen Romane KREISLÄUFE und DER WAL präsentieren und zueinander in Beziehung setzen. Beide Bücher arbeiten dabei in sowohl formaler als auch inhaltlicher Hinsicht mit Termini, die genauso Gegenstand der zeitgenössischen Kunst wie der Literatur sind. Dementsprechend werden sich die Autorinnen nach den jeweiligen Lesungen über die Bedeutung der Kunstbezüge in ihren Texten austauschen und erläutern, wie der Kunstbegriff literarisch erfahrbar gemacht werden kann. DER WAL lautet nicht nur der Titel des Romans, sondern zugleich auch der Name eines rätselhaften Baus – eines architektonischen Meisterwerks, das in seinen Ursprungszustand zurückzuführen sich der vom Künstler zum Bauarbeiter gewandelte Saul zur Aufgabe gemacht hat. In KREISLÄUFE hingegen werden Familiengeschichte(n) aufgearbeitet: Nachdem die Tagebücher eines verstorbenen Vaters aufgetaucht sind, beginnt die Suche nach Schlüsseln zu einer Vergangenheit, die Geheimnisse und blinde Flecken in sich birgt. „Ally Klein stellt die richtige Frage im richtigen Medium: Wie lässt sich im Roman das gerade so akute Ringen um Selbstbestimmung und Identitäten – um das Ich!, das hier sogar die Fliesen rufen – als ein gestalterisches und eben nicht als ein plakativ politisches fassen, als und in der Literatur?“, meint dabei Samuel Hamen auf Zeit Online über DER WAL, während Anne Kohlick im Deutschlandfunk Kultur die KREISLÄUFE nur empfehlen kann: „Es lohnt, sich einzulassen auf dieses kluge Buch über Kunst und Trauma. Sogar ein Kaffeefleck kann nach der Lektüre anders aussehen.“

Jedem Ende wohnt ein Anfang inne und in diesem Sinne macht den Schluss unseres Dezember-Programms wieder das Künstler*innen-Kollektiv Soul And the City am 12. Dezember. Mit All I Want For Christmas setzt es seine berüchtigte Weihnachts-Veranstaltungsreihe fort, die Performance und Party miteinander vereint und auf diese Weise einen Abend verspricht, der – unter dem Motto Night Of Arts – End Of The Year Party – mehr als Aufführung ist. Dabei werden Spenden gesammelt, die, wie eingangs erwähnt, im Rahmen des Projekts SaC International Days der sauberen Wasserversorgung von Kindern in benachteiligten Regionen zugute kommen werden. Soar Marongiu, die Initiatorin des Kollektivs, meint dazu: “Our goal is to stay interconnected, to learn and to grow together within our communities, cities and worldwide. We can only achieve that by dialogue and empathic listening, as well as by actions through creating outlets of expression and manifestation, through initiating projects and collective undertakings, through solidarity work and societal support.”

Ein rundes Programm also, mit dem wir das Jahr in der Lettrétage beenden. 2022 warten natürlich wieder viele, spannende Veranstaltungen auf uns und so arbeiten wir schon fleißig an unserem Januar-Programm.


Bis dahin freuen wir uns aber, den letzten Monat dieses Jahres mit Ihnen und all unseren Gästen zu begehen!


Das Programm der Lettrétage lebt von der freien Literaturszene Berlins. Wenn Sie Ideen für eine Veranstaltung in der Lettrétage haben oder als Literatur-Aktivist*in kostenfrei unsere Räume nutzen wollen, dann kontaktieren Sie uns. Als Ankerinstitution für die freie Literaturszene stehen wir Ihnen mit unserer Infrastruktur gerne zur Seite.