Die Lettrétage im November

Foto: Melanie Hauke

Herbstzeit ist Literaturzeit: Nach einem vollen Oktober mit Fake-Herbst-Wetter machen wir im November mit Real-Herbst-Wetter weiter mit einem ebenso vollen Monatsprogramm – so bunt und vielfältig wie die gesamte Berliner Literaturszene. Hypertexte, bewegte Texte, übersetzte Texte – alles dabei.

Los geht’s am ersten November mit „Von der Schönheit der Welt“ – ein Abend mit Sprechstücken und Musik. Lioba Happel, Signe Ibbeken und Sabine Schönfeldt setzen der profitorientierten Welt das „Schöne, Verquere, Weggedrängte“ entgegen. Das Abendprogramm fand bereits in anderen Städten statt – und das erfolgreich: „Lyrik gehaltvoll, tiefsinnig, provokant, amüsant – das bietet der Abend […], der Lust macht, sich weiter mit Lyrik zu beschäftigen“, sagt Burkard Fleckenstein (Leiter des Kulturamts Aschaffenburg).

Auch am darauffolgenden Montag, den 4. November, geht’s mit dem Unscheinbaren weiter, aber in wissenschaftlicher Rede. Peter Bexte wird in „Rebellion des ‚und‘ / Freiheit zum ‚und'“ über das bindende, unsichtbare Wort „und“ sprechen. Ein Abend als „Artikulation ambivalenter Erfahrungen, wie sie an dem Wörtchen jederzeit in Erscheinung treten können“.

Wie kann man heute über Liebe schreiben und was genau ist ein Liebes-ABC? Albert Ostermaier hat sich Roland Barthes‘ berühmtes Buch „Fragmente einer Sprache der Liebe“ als Inspirationsquelle vorgenommen, um darauf aufbauend einen lyrischen Streifzug durch die Liebe des 21. Jahrhunderts zu schreiben. Am 5. November stellt er das Ergebnis – seinen neuen Gedichtband „Über die Lippen“ in der Lettrétage vor. Hier gibt es einen interessanten Beitrag auf WDR über den Band.

Am Mittwoch wird es EX-perimentell: Alexander Graeff und Jonis Hartmann stellen bei „EX-periment mit Pfirsichsaucen“ ihre neuen Gedichtbände vor. Zweimal Irritation, zweimal Texte ohne große Schererei um Textgattungen, zweimal surreal ohne Ismen. Hier gibt es einen interessanten Artikel über Alexander Graeffs Buch „Die Reduktion der Pfirsichsaucen im köstlichen Ereignishorizont“ und hier einen über „EX“ von Jonis Hartmann.

Bekanntes Format mit neuen Gesichtern: Wir begrüßen am 7. November den Berlin Writers‘ Workshop Reading erneut in der Lettrétage. Eugene Ostashevsky und Donna Stonecipher präsentieren in einer Lesung ihre neuen Werke. Ein spannendes, englischsprachiges Interview mit Eugene Ostashevsky kann man übrigens hier nachlesen.

Zum Abschluss der ersten Novemberwoche freuen wir uns auf Yevgenia Belorusets, die in der Lettrétage die Premiere ihres Buchs „Glückliche Fälle“ feiert. In 35 Kurzgeschichten schildert die Autorin den Alltag in der Ukraine im Kontext des Kriegs. Dabei interessiert sie sich für das „Periphere des Konflikts, auf das, was am Rande des Blicks unerwartete und merkwürdige Formen animmt“. Hier gibt es einen Beitrag auf BR24 zum nachhören, der sich mit Belorusets‘ Arbeit auseinandersetzt. Die Veranstaltung wird aus Mitteln des Förderprogramms Grenzgänger unterstützt.

Gleich am nächsten Tag wird verlinkt. Bei „Lapidarium. Natürlicher Hypertext“ tritt der Autor Georgi Gospodinov auf – gemeinsam mit der Künstlerin Gaby Bergmann. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Gospodinov an seinem „Lapidarium“ und weitet das Werk mehr und mehr zu einem Hypertext aus. Im Rahmen der Lesung treffen Wort und Werk, Klang und Bild, Künstlerin und Autor (gegenwärtig Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg) aufeinander.

Am 16. November heißt es erneut: Text kommt in Bewegung. Unsere Kooperationspartner*innen von handverlesen präsentieren ihren dritten Abend mit Lyrik in deutscher Laut- und Gebärdensprache. Dawei Ni, Ulf Stolterfoht und Daniela Seel haben sich im Vorfeld ausgetauscht, haben sich übersetzt und werden ihre Ergebnisse jetzt in der Lettrétage präsentieren. Wir sind mächtig gespannt! Wir empfehlen außerdem einen Blick in die „Bibliothek“ auf der Homepage der Literaturinitiative: Dort finden sich bereits einige der übersetzten Gedichte – in Textform und als Gebärdensprachvideo. Besonders ans Herz legen möchten wir Ihnen „Die ‚literarischen‘ Memoiren einer tauben Frau“ – ein Plädoyer für bilingualen Unterricht und einen mehrsprachigen Literaturbetrieb von Liona Paulus.

Danach steht auch bei Greek Writers@Berlin der dritte Abend an: Wieder bietet sich die Möglichkeit, die griechisch-deutsche Literaturszene kennenzulernen. Nach den Lyriker*innen und Performer*innen sind diesmal die Prosa-Autor*innen dran: Christos Asteriou und Andreas Schäfer lesen aus aktuellen Projekten und diskutieren mit der Moderatorin Cornelia Jentzsch über Berlin als Stadt der modernen Diaspora, die Dekonstruktion nationaler Zuschreibungen und den Einfluss verschiedener Orte auf das eigene Schreiben.

Von Griechenland geht es weiter nach Frankreich: Das Georges-Arthur-Goldschmidt-Programm ist ein zweimonatiges Stipendium für junge Übersetzer*innen mit der Kombination Französisch-Deutsch in beiden Richtungen.  Drei Wochen arbeiten zehn Teilnehmer*innen in Ateliers an einer Vielzahl von Texten. Ihre Ergebnisse präsentieren sie am 23. November in der Lettrétage.

Und natürlich darf kein Monat in der Lettrétage ohne Literally speaking vorübergehen: Am 25. November geht die beliebte englischsprachige Lesereihe in die nächste Runde. Fünf Autor*innen, zehn Texte – alles aus der englischen Schreibszene Berlins, moderiert von Traci Kim.

Am 26. November steht die nächste Buchvorstellung an. Mati Shemoelof war schon mehrmals mit verschiedenen Formaten bei uns und stellt nun seinen neuen Gedichtband „BAGDAD | HAIFA | BERLIN“ vor: Hier versammelt Shemoelof deutsch-hebräische und arabische Gedichte, die die Geschichte seiner Migration erzählen.

Danach kehren alte Weggefährt*innen zurück in die Lettrétage: Bei „Ich höre auf, ich höre zu“ treten Stanisław Strasburger, Milo Pablo Momm, Ilija Matusko, Martin Lechner, Jan Imgrund, Nina Bußmann und Hannes Becker auf, Luise Boege moderiert. Oder wie es so wunderschön charmant im Ankündigungstext heißt: „Seit fast 15 Jahren treffen sich diese Menschen und reden miteinander. Wie kann das sein? Liegt es daran, dass sie einfach Gespräche lieben, freundliche, kluge, kritische? Liegt es an den Texten, die sie schreiben, diesen unterschiedlichen, unberechenbaren Dingern? Liegt es daran – aber wie kann das sein? – dass sie über diese Texte, die sie doch bereits geschrieben haben, auch noch miteinander reden? Liegt es daran, dass sie sich mögen?“

Den Abschluss der Buchvorstellungen macht Volker Kaminski mit der Präsentation seines neuen Buchs „Der Gestrandete“, das von Eindringlingen und verdrängten Vergangenheiten handelt.

Den Abschluss des wirklich sehr vollen und sehr langen Novembers macht schließlich das Lyrik-Kollektiv G13, das am 30. November sein zehnjähriges Jubiläum in der Lettrétage feiert. Und da werden wir wohl auch ein Gläschen mittrinken – haben wir uns nach dem Monat auch verdient.

Wie immer gilt: So voll, so bunt, so toll wird es bei uns nur, weil die Impulse aus der Szene kommen. Die Lettrétage steht als Ankerinstitution für die freie Literaturszene allen Literatur-Aktivist*innen zur Seite. Unser Raum am Mehringdamm 61 kann kostenfrei für alle Literaturveranstaltungen genutzt werden. Ihr müsst nur schreiben…