Die Lettrétage im April

Der Frühling ist nun (fast) da und mit ihm kommen unterschiedliche experimentelle Formate. Nach Buchpräsentationen zu Beginn des Monats folgen eine offene Probe, die Eröffnung des PostOstCafe, ein Gespräch der Literaturstadt Berlin und einiges mehr in der Lettrétage.

Den Monat eröffnet Marie Aline Klinger am Donnerstag, den 04., mit der Premiere ihres Debüt-Essays „Wasserprotokolle“ (Büchner Verlag) im Gespräch mit Thekla Neuß. Ausgehend von dokumentarischem, journalistischem und literarischem Material protokolliert die Autorin Formen der Wassergewalt und entwickelt ein Denken des Flüssigen entlang des Europäischen Grenzregimes. Hierfür geht sie der politischen Neutralisierung des Wassers nach, verweist auf die Leerstellen, die die vermeintliche Kontaktlosigkeit der flüssigen Gewalt im Mittelmeer erzeugt und folgt Praktiken des Widerständigen, die die Wassergewalt durchkreuzen.

Am Freitag, den 05., folgt eine weitere Buchpräsentation der neuen Gedichtsammlung „PORTAL“ von Tracey Fuad, die in diesem Jahr in der University of Chicago Press veröffentlicht wurde. In ihren Gedichten betrachtet die Autorin Vererbung und Fortpflanzung durch die Brille von Elternschaft, Etymologie, Postkolonialismus und Klimaangst. „PORTAL „dokumentiert ein Leben, das selbst in seinen intimsten Momenten durch immer flachere technologische Schnittstellen vermittelt wird und in dem Sprache – und sogar Intelligenz – nicht mehr nur von Menschen produziert wird. Zusammen mit Zoe Darsee und Patty Nash begeht Tracey Fuad diesen Abend.

Als dritte Buchpräsentation in drei Tagen stellt Sylvia Geist am Samstag, den 06., ihren Roman „Weißes Wasser“ im Gespräch mit der Übersetzerin und Verlegerin der Edition Rugerup Margitt Lehbert vor. Ihr Roman erzählt von Herkunft und Erinnern, Identität und Verschwinden und davon, wie dies alles zusammenhängt.

Am Donnerstag, den 11., findet die offene Probe Queering Audibility statt. Ausgehend von zwei Videoarbeiten entwickelt sich eine Zusammenarbeit zwischen dem *Tauben Performance Künstler* Eyk Kauly und dem hörenden Sound-Duo HYENAZ (Kathryn Fischer und Adrienne Teicher). Gemeinsam untersuchen sie mittels Gebärden, Tönen, Performance und Video, was es heißen könnte, die Bedingungen der Hörbarkeit zu queeren. Die offene Probe lädt das Publikum ein, folgende Fragen aufzugreifen: Wie inspirieren Körpersprache, Performance und Gebärden eine Soundproduktion jenseits gesprochener Sprache? Wie übersetzen sich Geräusche, Töne und Rhythmen – unter Beteiligung von Dolmetschenden – in körperliche Erfahrungen? Kann tönende Performance und performing Sound dazu beitragen, die Gegenüberstellung Taub versus hörend, oder andere Binaritäten, zu unterlaufen? Wie sind diese an Hören, Gehörtwerden und Hörbarkeit gebunden? Und was heißt Queering in diesem Kontext?


Darauf folgt am Freitag, den 12., die vierte und letzte Buchpräsentation des Monats: Was ein Gedicht sein kann? Alles. Frieda Paris‘ Debüt „Nachwasser“ ist durchlässig, tiefschichtig, auffächernd. Hier schreibt eine Schreibende, die den Einflüsterungen ihrer Wortmütter ebenso lauscht wie denen eines Vogels, der auf ihrer Schreibschulter ein Nest gebaut hat. Der Text lässt seine Leser:innen an der Entstehung eines langen Gedichts teilhaben, nimmt sie mit an den Schneidetisch, wo alles zusammenfindet: gestrandetes Poesiegut, Tränensalz, Wörter der Kindheit – und Zettelrückseiten aus dem Nachlass der großen Wortmutter Friederike Mayröcker.

Am Samstag, den 13., kehrt SIESTA FESTIVAL mit der zweiten Ausgabe der Reihe PANORAMAS in die Lettrétage zurück und präsentiert in performativen Lesungen drei Autoren: Antonio Ungar lädt das Publikum zu handwerklichen Erzählungen ein, die Sprachen und Kulturen durchqueren. Die Dichterin und Dramatikerin Giuliana Kiersz durch multimediale Landschaften, poetische Einblicke in die menschliche Verfassung gibt. Der Dichter und Performancekünstler Felipe Sáez Riquelme stellt die Formen in Frage und erforscht durch mündliche Äußerungen und Zuhören alternative Formen des Schreibens. Ihre Werke werden von Susanne Lange, Timo Berger und Laura Haber übersetzt, die mit ihrer Erfahrung die Sprachen erweitern. Rocío Rodriguez und Ian Kornfeld verleihen der Veranstaltung eine visuelle Dimension und sorgen für eine ästhetische Kulisse. Die Moderatorin Regina Riveros führt uns durch die Nacht, während Mauricio Fleury für einen musikalischen Abschluss sorgt. Gemeinsam verspricht diese zweite Konstellation einen Spaziergang durch die lateinamerikanischen Künste und lädt ein, neue Horizonte und Perspektiven zu entdecken.

Am Dienstag, den 16., wird vor dem Hintergrund jüngster politischer Entwicklungen in Osteuropa und in Deutschland das Konzept von ‚PostOst‘ in den Vordergrund unserer Aufmerksamkeit gerückt. Das ‚PostOst-Café‘, ein Ort für das Zusammenkommen, für Begegnung, für Gespräche und für Literatur wird eröffnet. Je zwei Autor*innen und ein*e Theoretiker:in präsentieren ihre aktuellen Arbeiten. Im Anschluss sprechen sie miteinander und mit den Café-Besucher:innen über die vielfältigen Potentiale, Geschichtlichkeiten, Perspektiven und Bedeutungen von PostOst, über die solidarische Kraft von Literatur und über Wege der Zukunft.

Am Mittwoch, den 17., findet die European Young Literature Berlin Edition statt. European Young Literature ist eine Reihe von Veranstaltungen, Lesungen und Publikationen, die sich von Paris, Matera, Stockholm bis nach Berlin erstreckt. Sie wurde Ende 2021 ins Leben gerufen und ist eine Initiative des schwedischen Verlags Spleen Nordic, um in Europa Plattformen für Literatur jenseits des Mainstreams zu schaffen. Der Schwerpunkt liegt nicht auf geografischen Aspekten, sondern auf der europäischen Literatur als Tradition und Qualität. An diesem Abend werden verschiedene literarischen Stimmen aus verschiedenen Altersgruppen und mit unterschiedlichem Hintergrund – von Chile im Süden bis Norwegen im Norden – präsentiert.

Am Freitag, den 19., ist wieder einmal Salon Schelf. Im Rahmen des Oberthemas Wenn alte weisse Männer zu sehr lieben! lesen Daniel Klaus und Klaus Ungerer Passagen aus ihren Liebesnovellen „Valérie“ und „Wir sagen einfach alles, wovor wir Angst haben“ und versuchen dabei, ganz stark zu sein. Chansonnier Marc Ottiker spielt Gitarre und singt.

Die wohl experimentellste Veranstaltung in diesem Monat findet am Samstag, den 20., statt. Convergence II ist ein Abend mit multisensorischen Performances, die Dialoge zwischen Klang, Text und visuellen Elementen erforschen. Bei der zweiten Veranstaltung der vom Kross Collective organisierten Reihe werden, eine neue Live-A/V-Performance der Sängerin Wilma Sävström und des experimentellen Musikers Days Like Television und eine Ambient-Sound-Performance aus Poesie und Video Von Jeglichem Wort präsentiert. Mire ist das Dark-Ambient-Drone- und Atmospheric-Soundscape-Projekt von Andreea Hriscu, die an diesem Abend eine Sound- und Kunstperformance präsentiert. Es folgen zwei ausgedehnte musikalische Sets: Paul Brody mit einer live electronics & poetry performance mit aufgezeichneten Stimmen von Dichter:innen und eine improvisierte Klarinetten- und Feedbackschleifen-Performance des britischen Experimentalmusikers Severin Black.

Am Montag, den 22., feiert The Erotic Review mit Explore Desire with new The Erotic Review einen Relaunch. Mit diesem Start beginnt ein neues Kapitel in der 30-jährigen Geschichte des britischen Magazins. Die Zeitschrift präsentiert Kunst und Texte aus der ganzen Welt, wirft einen neuen Blick auf das, was Erotik in unserem Leben ist oder sein könnte, und bietet Raum für einen offenen, spielerischen und mitfühlenden Diskurs über das Begehren. Anlässlich dessen wird ein Programm mit Lesungen der Autor:innen Eliot Duncan, Vijay Khurana, Jessica J. Lee, Judy Moore und Rebecca Rukeyser, moderiert von Lucy Roeber und Saskia Vogel, dargeboten.

Zwei Tage darauf lädt der Ibn Rushd Fund am Mittwoch, den 24., zu einem Gespräch mit Nahed Samour und Mahmoud Salem über das Buch Arab Berlin: Dynamics of Transformation ein. Das neu erschienene Buch, herausgegeben von Hanan Badr und Nahed Samour, wirft einen Blick hinter die Fassaden und untersucht die vielschichtigen Veränderungen in Berlin und seinen arabischen Gemeinschaften. Von Politik und Gesellschaft über Geschichte und Migration bis hin zu Gender und darüber hinaus – Araber:innen gestalten diese Veränderungen aktiv mit. Die umfassende Zusammenstellung von Badr und Samour umfasst wissenschaftliche Artikel, Essays, Interviews und Fotografien, die tiefe Einblicke in die komplexe Dynamik Berlins geben. Autoren mit unterschiedlichem Hintergrund tragen ihre Perspektiven bei und fördern so einen differenzierten Dialog über zeitgenössische Veränderungen. Die Veranstaltung wird von Cora Josting und Amany Alsiefy vom Ibn Rushd Fund moderiert.

Den Abschluss des Aprils bildet am Dienstag, den 30., eine Veranstaltung der Berliner Literaturkonferenz in Kooperation mit RBB Kultur zu dem Thema Literaturstadt Berlin: Literatur als Imageträger und Wirtschaftsfaktor. Berlin ist eine bedeutende Literaturstadt, seit hunderten von Jahren ist sie Thema gegenwartsrelevanter Werke, Magnet für zahllose Liebhaber*innen des Wortes – auf ihren Bühnen, in ihren literarischen Institutionen, in Cafés, Salons und auf ihren Straßen. Wie kann die Berliner Literaturszene noch stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangen? Wie kann ihr Potenzial als Wirtschaftsfaktor und Imageträger im Interesse der Stadtgesellschaft genutzt werden? Welche Bedeutung haben literarische Veranstaltungen für den Tourismus? Wie lassen sich über Kooperationsprojekte wie die jüngst gestartete Plattform literaturstadt.berlin die Kräfte bündeln, um die Literatur sichtbarer zu machen? Darüber debattieren der Berliner Wirtschaftsstaatssekretär Michael Biel, die Geschäftsführerin des Berliner Börsenvereins des deutschen Buchhandels Johanna Hahn, die Leiterin des Internationalen Literaturfestivals Berlin Lavinia Frey und Moritz Malsch vom Literaturhaus Lettrétage. Annette Wostrak, von LesArt, resümiert die kulturpolitische Bedeutung der Diskussion als Sprecherin im Namen der Berliner Literaturkonferenz.