5 Fragen an Christiane Quandt

In der Reihe „5 Fragen an…“ stellen wir Berliner Literaturaktivist*innen vor. Ob Autor*innen, Verleger*innen, Veranstalter*innen – mit uns sprechen sie darüber, was sie antreibt, was sie umtreibt und was sie überhaupt dazu bringt, sich literarisch zu engagieren. Am Samstag, 16. Juni, feiert die Literaturzeitschrift alba.lateinamerika lesen bei uns das Release ihrer elften Ausgabe. Zu diesem Anlass haben wir mit Redaktionsmitglied Christiane Quandt gesprochen.

Aus welcher Motivation heraus ist Euer Projekt zustande gekommen? Und warum ausgerechnet in Berlin?

Berlin hat derart lebendige und vielfältige Literaturszenen, darunter eine unglaublich produktive lateinamerikanische Community von Lyriker*innen, Prosaautor*innen, Forscher*innen, Übersetzer*innen und Aktivist*innen, dass eine Zeitschrift wie alba praktisch entstehen musste. Berlin ist die Heimat des mobilen Poesiefestivals Latinale, hier befindet sich die größte Bibliothek zu iberoamerikanischen Themen in ganz Europa, Forschungseinrichtungen zu lateinamerikanischer Literatur an den Universitäten, und nicht zuletzt ist die polyzentrische Stadt selbst unglaublich attraktiv für Literaturschaffende. Die Berliner alba – unser offizieller Name lautet alba.lateinamerika lesen – entstand 2012 mit einer Anschubfinanzierung des gleichnamigen Pariser Schwestermagazins. Außerdem gibt es alba in London und in Peking. Es bestehen lose Verbindungen zwischen den albas, da uns die Leidenschaft für die Literatur aus dem vielfältigen Lateinamerika antreibt. Aber wir betreiben kein Franchise oder so etwas – jede alba macht ihr eigenes Programm. Manchmal publizieren wir die gleichen Autor*innen, aber das ist eher Zufall.

Wer steckt hinter alba? Welche Köpfe, backgrounds und Ideen vereint Eure Redaktion?

Uns vereint die Begeisterung für Literatur und die Überzeugung, dass wir einen hochwertigen Beitrag zur kulturellen Szene in Berlin und in Deutschland leisten. alba ist einzigartig, denn wir publizieren sämtliche Texte im Original und in deutscher Übersetzung. Das heißt, das Magazin ist immer mindestens zweisprachig (Spanisch und Deutsch), tendenziell sind es aber noch mehr Sprachen. Brasilien darf nicht fehlen und wir versuchen, auch die zahlreichen indigenen Sprachen zu berücksichtigen, obwohl uns diese Texte leider nur über das Spanische oder Portugiesische als Brückensprache zugänglich sind. Gelegentlich sind wir tatsächlich diejenigen, die einen fast schon berühmten Autor erstmals ins Deutsche bringen, der danach von einem großen Verlagshaus publiziert wird. Dabei stellt sich alba nicht in den Dienst des Literaturmarktes, im Gegenteil: Wir bieten auch Raum für das, was den Markt nicht interessiert, was sich aber dennoch zu lesen lohnt.

In den letzten zwei Jahren hat eine Art Generationswechsel bei alba in Berlin stattgefunden. Mittlerweile sind nur noch zwei der Gründungsmitglieder dabei und wir haben viel neuen Wind in den Segeln. Die meisten sind Literaturwissenschaftler*innen oder Übersetzer*innen, alle begeistern wir uns für aktuelle Literaturen aus Lateinamerika, wobei jede (der einzige Mann in der Redaktion ist hier ausdrücklich mit gemeint) von uns ihre eigene Leseerfahrung, ihre Vorlieben und ihre individuelle Expertise mitbringt.

Ihr wollt, so schreibt Ihr auf Eurer Webseite, „kaum entdeckte Schätze der lateinamerikanischen Literaturen ins Deutsche und nach Berlin bringen“ – wie entdeckt Ihr solche Schätze? Was ist Euch bei der Textauswahl wichtig?

Bei der Textauswahl ist uns wichtig, dass etwas mit uns als Lesern geschieht, dass die Texte etwas mit uns machen, uns bewegen, berühren, begeistern, entsetzen, ergreifen, durchschütteln, verstören, womöglich auch alles auf einmal. Der Auswahlprozess ist basisdemokratisch, es wird abgestimmt, welche Textvorschläge letztlich publiziert werden. Bei manchen Ausgaben gibt es eine besondere Ausrichtung, die im Vorhinein feststeht; das war bei alba10 der Fall, der Spezialausgabe Mexiko, manchmal ergibt sich so ein Fokus erst im Laufe der redaktionellen Arbeit. Im ersteren Fall begeben wir uns gezielt auf die Suche nach beispielsweise mexikanischer Literatur, wir sehen uns mexikanische Literaturzeitschriften an, aktivieren unser Netzwerk in Mexiko und in Berlin und greifen auf eigene Lektüren zurück. Ein Vorteil, den eine derart lebendige Szene wie Berlin bietet, ist die Möglichkeit, sich von hier aus auf dem Laufenden zu halten, was in den verschiedenen Literaturszenen gerade los ist. Auch bieten soziale Netzwerke die Möglichkeit, Kontakte zu pflegen und andere digitale Plattformen erlauben es den Autor*innen, ihr neuestes Schaffen barrierearm zugänglich zu machen. So kommen die Schätze im Idealfall sogar zu uns, statt dass wir sie „entdecken“ müssen.

Bei alba11, der aktuellen Ausgabe mit dem Leitmotiv Wir sind da, hat es sich abgezeichnet, dass es ein Heft mit besonders vielen weiblichen Autor*innen geworden ist, was uns dazu angeregt hat, weiter zu fragen: Ist die Kategorie „weibliches Schreiben“ noch angemessen oder lassen die Texte sie hinter sich? Wie kann eine Zeitschrift wie wir mit den Diskrepanzen zwischen den Geschlechtern innerhalb des literarischen Feldes umgehen bzw. wie kann eine Ausgabe aussehen, die die Gemengelage wahrnimmt und auch selbst bis dato zahlenmäßig mehr Texte von männlichen Autoren publiziert hat, ohne die eigenen Grundsätze außer Acht zu lassen? In dem Heft selbst gehen wir nicht auf die feministischen und antifeministischen Tendenzen und Debatten ein, die derzeit innerhalb und außerhalb des Literaturmarktes stattfinden, sondern wir konzentrieren uns auf die Texte und lassen diese für sich sprechen. Die Frage, warum die Texte männlicher Autoren tendenziell mehr Preise gewinnen, größere Auflagen erzielen und insgesamt mehr Aufmerksamkeit erregen, stellen wir höchstens implizit. Und sie wird bei unserer Release-Lesung Thema sein.

Neben der Publikation Eurer Zeitschrift veranstaltet Ihr regelmäßig Lesungen – warum ist es Euch wichtig, Euer Print-Projekt durch solche Veranstaltungen zu ergänzen?

Literatur lebt von der Sprache, dem Dialog. Ein Text wird bei jedem Lesen neu aktualisiert und entfaltet mit jedem neuen Leser, jeder Leserin weitere Bedeutungsebenen. Eine öffentliche Veranstaltung bietet einen idealen Rahmen, um Literatur lebendig zu machen und die individuelle Leseerfahrung in etwas Gemeinsames zu verwandeln, sich auszutauschen, Fragen zu stellen, verschiedene, womöglich konträre Lesarten einander gegenüberzustellen, Reibungen zuzulassen, ein Gespräch anzufachen über und mit der Literatur, mit den Autor*innen und über das, was uns bewegt.

Wie soll es für Euch weitergehen? Habt Ihr Pläne für die Zukunft?

Als gemeinnütziger Verein, in dem alle Mitglieder ehrenamtlich tätig sind, ist die Frage nach den Zukunftsplänen leider stets mit der Abwägung zwischen wirtschaftlichen Notwendigkeiten und den Wünschen für das Projekt verbunden. Da es derzeit kaum gangbare Fördermöglichkeiten für eine Literaturzeitschrift wie alba.lateinamerika lesen gibt, verwenden wir viel Zeit und Energie darauf, das Fortbestehen des Projekts wirtschaftlich zu sichern. Es wäre eine große Erleichterung, wenn wir diese Energien in Zukunft mehr auf Inhalt und Gestaltung verwenden könnten. In jedem Fall wollen wir noch lange Teil der Berliner Literaturszenen sein, noch viele wunderschöne albas herausbringen und zu Lesungen, Werkstätten, Release-Veranstaltungen und Gesprächen einladen. Und natürlich zum Lesen.

© Manu Wolf

Christiane Quandt(*Köln, Deutschland) hat am FTSK der Universität Mainz Übersetzung studiert und war bis 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lateinamerika-Institut der FU Berlin. Sie übersetzt Lyrik, Prosa, Essay und Fachtexte und ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift alba.lateinamerika lesen. Zu ihren Buchübersetzungen zählen Das Margeritenkloster von Lucero Alanís (Ripperger & Kremers, 2017) und Berlin ist ein Märchen von Esther Andradi (KLAK, erscheint 2018). Sie lebt als freie Übersetzerin, Herausgeberin und Autorin in Berlin.