Zitat der Woche

lyrikline.org ist der Quell, aus dem dein Leben geflossen ist,

oder der Same, aus dem es gesprossen ist,

das ist der eine Prozess, der ihm sozusagen vorhergeht,

bei dem sich eine Kugel bildet mit ungesehener Höhlenmalerei,

das ist der Prozess, bei dem sich der Mars-Rover

bootet, bevor er angeschaltet wird und sich wahrnimmt,

der eine Prozess, den er dann überhaupt nur beobachten kann, der

auf seiner Retina eintätowiert ist – so würde man das vielleicht sagen –.

Es geht um die Sprache, aber es geht um das Leben,

und insofern um, irgendwie so, den intimsten Punkt

des Anthropischen Prinzips, sozusagen, und wenn irgendwie,

sozusagen, die Etymologie von einem Wort – wie „geboren“

zum Beispiel –, ‘ne andere wäre, dann wäre man nicht

geboren worden.

Auszug aus „Svalbard Paem“ (2018) von Daniel Falb
Von Lyrikline

Zitat der Woche

Es gibt einen Punkt in jeder Geschichte, an dem man sich entscheiden muss, wo der Anfang liegt. Welche Geschichte man erzählen will. Vielleicht liegt der Anfang vor der Geburt, irgendwo in dem, was Vergangenheit ist, ein vererbter Strang, der zieht, der den Weg weist an den Ort, wo die Linse der Erzählung fokussiert. Vielleicht liegt er mittendrin, eine zufällige Implosion von Einheiten aus Zeit, voller Leerstellen, aus denen die Geschichten fliessen. Vielleicht: Die Katze, das Gas. Die Großtante, der Bauernhof, ein Eisenbahnunglück in Italien. Eine Leerstelle voller Leerstellen, Begehren, das pocht unter den Dielen, und pocht, und pocht. Die Knoten, die wuchern.

Auszug aus „Die Knoten, die wuchern.“ von Eva Maria Leuenberger

Aus: Edit, N°78/79, Herbst 2019

Zitat der Woche

Unsere freude verbergen wir und unsren haß und
schauen mit erstarrten grimassen gleichgültig drein,
unbeeindruckt, als wären wir völlig gelassen, als wären
wir götzen aus stein.

Von Alexander Estis
Aus „Sprüche des Russen“ (hochroth Bielefeld 2019)

Zitat der Woche

feuer eine Kugel auf mich
in Zeitlupe
die durch alle Glieder dringt und vermische
etwas von jedem einzelnen
auf der Spitze
wie auf der Farbpalette eines Malers
der mich nackt skizziert
die Kontur des Körpers mit einer
Stift-Kugel nachzeichnet
wenn du fertig bist
entsorgt die Polizei die wertlose Leiche auf der Müllkippe und du hast
auf der Kugelspitze
ein einziges Farbgemisch
restlos mich.

„Dann schieß doch auf mich“ von Ronen Altman Kaydar
Aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer

Aus dem Gedichtband „Was es bedeuten soll. Neue hebräische Dichtung in Berlin“ (parasitenpresse 2019). Dieser wird im Februar bei uns im Rahmen einer Buchvorstellung und Lesung präsentiert.

Soundpoetry, ein Vorgeschmack

© Valérie Sonnier

Am Samstag steht unsere letzte Abendveranstaltung für das Jahr 2019 an.
Violaine Lochu und Tomomi Adachi kommen zusammen für „Genesis of a Language“ – eine soundpoetische Performance mit Stimmexploration, Gestik, und der Erschaffung einer Metasprache. Die beiden werden gemeinsam Texte, fremde sowie vertraute stimmliche Klänge, verschiedene Medien und Körpersprache zum Einsatz bringen. Und beide kommen mit ihrer eigenen Performance-stilistik. Hier haben wir ein paar Videos, die euch vorab schon in die Klangwelten der beiden Künstler*innen eintauchen lassen.

„Soundpoetry, ein Vorgeschmack“ weiterlesen

Zitat der Woche

Umso mehr sie die Augen verschließt, hört sie die Tastatur, als besäße jedes Zeichen einen anderen Ton, die Tastatur wird plötzlich zu einem Klavier. Es vermischen sich Eindrücke, leise hört sie ein medizinisches Gerät aus dem Nebenraum, es vermengen sich mit geschlossenen Augen die Eindrücke, ein Lied, nein es ist kein Lied, es ist eine Kulisse, sie steht inmitten einer Kulisse, alles sind Kulissen, sie möchte ihre Augen nicht öffnen.

aus Serpent, Nr. 6, Mai 2019

Neue Beratungstermine bei Schreiben & leben

Die kostenfreien Beratungstage unseres Projekts Schreiben & leben gehen weiter! Im Dezember und Januar gibt es wieder drei neue Termine. Weitere Beratungstage sind in Planung. Freiberuflichen Autor*innen, Übersetzer*innen, Lektor*innen, freien Literaturveranstalter*innen u.a. bietet das Projekt die Möglichkeit, Einzelberatungen (ca 45 Min) zu verschiedenen Themenbereichen und mit erfahrenen und erfolgreichen Freiberufler*innen der Literaturszene in Anspruch zu nehmen.

„Neue Beratungstermine bei Schreiben & leben“ weiterlesen

Zitat der Woche

die Zusammenkunft zweier Blicke
im Chor der Augenfarben
aneinander vorbeigehen
das Stehenbleiben und die Demenz
Eklipse und Eklat, Ellipse und Elan
einer längst-unlängst versunkenen Berührung
die Sehnsucht nach im Erscheinen Entschwundenem
nach Gaben von Nichts einer glücklichen Fügung
Klänge der Kehle einer Du-Amphore

„Blicktransit“ von Alexandru Bulucz
aus: Lichtungen, 142/XXXVI. Jg./ 2015

Zitat der Woche

Der Meeresspiegel bewegte sich auf die Gärten zu. Langsam leckte er über das Gras und verschlang den Löwenzahn, als würde er von einem unsichtbaren Mond oder Himmelsmagneten angezogen. Es ist bekannt, dass nur die Tamarisken Salzwasser vertragen; Tomate, Artischocke und Kartoffel verwandelten sich in Meerespflanzen, einige Früchte konnten die Frauen aber retten und sie — wer weiß schon, zu wessen Erstaunen — sogar noch in den Küchen zur Schau stellen, ungewöhnliche Formen, mit Salzkristallen verkrustet.

Auszug aus „Teufelssprache“ von Veronika Simoniti.
aus dem Slowenischen von Tamara Kerschbaumer, Literae Slovenicae 2017