Zitat der Woche

Als ich eines regnerischen Morgens die Treppen der U-Bahnstation Oranienburger Straße hinaufsteige und auf dem von Regentropfen gesprenkelten Asphalt vor mir den kupferfarbenen Widerschein der Straßenlaternen sehe, die von der letzten Nacht noch nicht erlöscht sind, erkenne ich plötzlich, wie jede Generation blindlings und unbewusst einem Auftrag unterworfen ist, die Fehler und Schmerzen der Generation vor ihr zu korrigieren, um die Schäden der Zeit wiedergutzumachen.

Andrea Scrima: KREISLÄUFE, Literaturverlag Droschl, 2021.

Ich kenne diese Geschichte nur aus Erzählungen, aber in ihr deutet sich unendlich viel anderes an, Geschichten, die nicht erzählt werden, weil sie vielleicht auch keiner mehr weiß, keiner mehr wissen will, weil sie zu brutal sind, als dass sie noch eine Sprache finden könnten, was aber nichts daran ändert, dass sich die Zeichen dessen, was nicht erzählt wird oder erzählt werden kann, in die Haut der Nachkommen ritzen wie unlesbare Botschaften, mit denen zu leben man erst einmal lernen muss.

Lilian Peter: MUTTER GEHT AUS, Diaphanes Verlag, 2022.

Mit ihren Werken KREISLÄUFE und MUTTER GEHT AUS beschäftigen sich Andrea Scrima und Lilian Peter am 16. Oktober bei Schreiben und Erinnern mit Autofiktion und wie man über Themen schreibt, die bis heute als Tabu gelten.