Zitat der Woche

Das ganze Dorf brannte. Die Flammen schlugen hoch über den zum Teil stark verwitterten Dächern der langgestreckten Backsteinhäuser zusammen. Zwischen den rasenden Feuern sah ich Leute hin und her hasten, aber nicht, um zu löschen. Entsetzt erkannte ich, dass sie Kanister in den Händen hielten, deren Inhalt sie an den Stellen ausschütteten, wo das Feuer zu verlöschen drohte, um es erneut anzufachen. Obwohl sie rußverschmierte Gesichter hatten, glaubte ich, einige von ihnen zu erkennen. Ich wollte ihnen zurufen einzuhalten, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Plötzlich zerriss der schwarz-graue Rauchvorhang an einigen Stellen und ich sah in der Mitte des Dorfes ein großes Gebäude, das alle anderen überragte und völlig unversehrt war.

Ich erkannte es sofort wieder, es war das ehemalige gräfliche Schloss. Sofort ging mein Blick weiter bis ans Ende der Dorfstraße. Vielleicht war auch mein Haus von den Flammen verschont geblieben, aber dort, wo es gestanden hatte, war nur ein leerer Platz. Nichts erinnerte mehr daran, dass dort einmal ein Fachwerkhaus gestanden hatte. Ich spürte wie mir Tränen über das Gesicht liefen, die nicht nur vom beißenden Rauch stammten. Dann beherrschte mich nur noch ein Gedanke: Weg von diesem lodernden Inferno. Nur, da waren diese Menschen, die ich zu kennen glaubte, und die ich zurückhalten musste, weiter den Ort zu zerstören, der ihr Zuhause war.

Reinhard Kuhnert: Auftakt, in ABGANG IST ALLERWÄRTS, MIRABILIS Verlag, 2013.

Am Freitag, den 16. September, stellt Reinhard Kuhnert seinen Roman ABGANG IST ALLERWÄRTS vor, um anschließend – begleitet von Erik Kross am Klavier – politisch garstige Lieder zu singen.