Zitat der Woche

Wie alles Leichte

Was uns Last war wurde selbstverständlicher Teil unseres Seins
und wozu wir verpflichtet warn
das erfüllten wir weder in Taten
noch werden wirs in Sprache tun
Wir nahmen Abschied von Freunden auf würdige Weise
mit Tränen und Liedern
die als Geschenke blieben, die wir erbten von ihnen
wir tauschten Briefe und wussten nicht, dass unser Herz
dieselbe Traurigkeit
und dieselben Ängste teilt
das Morgen lag vor uns wie ein Geschenk, das wir nicht brauchten
um das wir aber unabsichtlich baten
und das ohne jede Mühe zu uns kam.
Wir sahen nicht, dass das Leben die Erlaubnis gab zurückzukehren
zu den Menschen
zum Herzen, dem was in ihm ist
zum morgigen Tag, um den wir baten ohne dass wir an ihn dachten
und zur Verletzung, die wir annahmen
verhätschelten wie einen Freund
Niemals nie
ignorierten wir unseren Feind
Wir warten auf dich, sprachen wir zu ihm, öffne die Türen
wir jagen dich nicht fort
was würden wir nur ohne dich
mit diesem Leben tun, das, ohne dass wirs wussten, der Vergangenheit in uns Verlangen gab
etwas zu sein
eine Sprache
ein Messer etwa
oder ein Freund
doch nun drohen wir damit uns von ihm abzuwenden
und wir tuns, bis er verschwindet
wie alles Leichte

Noor Kanj. Aus dem Arabischen ins Deutsche übertragen von Sandra Burkhardt. Die Übersetzung entstand während des Übersetzungsworkshops ‚Nahost trifft Europa‘ im Rahmen des Poesie Festival Berlin 2019. Lyrikline

Am 16. März liest u.a. Sandra Burkhardt bei der Lesung „Die Unsichtbare Stadt 2“ neue Texte vor.