Textauszüge aus Óscar Esquivias: Kreidezeichen

Am nächsten Mittwoch stellen wir den Erzählband „La marca de Creta“ von Óscar Esquivias vor (zur Einführung). Schon vorab können Sie hier den Beginn der Erzählung „Die Ordnung der Tragödie“ lesen. Den Rest dieses Textes und weitere Erzählungen gibt’s am Mittwoch in der Lettrétage!

Plötzlich spürte ich die Kälte auch, über die sich der Verwalter und der Andere schon den ganzen Nachmittag beklagt hatten. Es war kein Windstoß, sondern eine innere Empfindung: als habe etwas von mir Besitz ergriffen, als hätte mich ein Peitschenschlag getroffen. Vielleicht war es die Erde selbst, die ich mit meinen Füßen trat, die mich schlug, wie man einen Ochsen schlägt, damit er losgeht. Mir schauderte, aber ich stieg noch nicht in den Wagen.
Stattdessen versuchte ich, während der Tag zu Ende ging, diese Seite des Tales als Letztes zu betrachten. Die Pappeln am Bach waren viel höher und dichter, und der Ulmenwald am Weg war nur noch totes Geäst, das auf das Feuer zu warten schien, um endlich ganz zu verschwinden. Einen Moment dachte ich darüber nach: Alles abbrennen, das ganze Tal abbrennen, die Ernte, die niemand einholen würde, die erbärmlichen Beete hinter den Pappeln, die Steineichen im Wald, die Hohlwege, das Erbe, die Papiere, den Verwalter und den anderen Mann, von dem ich nicht wusste, warum er uns den ganzen Nachmittag begleitet hatte, und mich selbst. Alles verbrennen, ohne Mitleid und ohne Reue. Und trotzdem, es war kalt. Ich stieg in den Nissan Patrol und hatte den Kopf voller Bilder. Der Verwalter streichelte das Lenkrad wie eine alte und sehr treue Hündin, mit schwieliger Zärtlichkeit. Der Andere saß hinten und rauchte. Die Beiden hatten schweigend auf mich gewartet.
»Können wir los?«
Der Wagen fuhr an, ohne auf meine Einwilligung gewartet zu haben. Er fuhr sicher, trotz des Geländes und der Dunkelheit, die so plötzlich gekommen war, als hätte jemand ein Fenster geschlossen. Wo die Piste auf die asphaltierte Straße mündete, hielt er an. Er würgte das Lenkrad, bevor er sprach. Seine Worte wirkten überflüssig und schwer.
»Wohin? Nach Burgos?«
»Nein. Ins Dorf. Zum alten Haus.«
Er bog nach links ab. Ich warf mir eine Decke über, um der Kälte zu trotzen. Ich bot ihnen Zigaretten an, aber sie nahmen keine. Ich rauchte eine Zigarette, die nach nichts schmeckte. Der Mond schien und schon bald sah man die Häuser von Villandiego.
Das alte Haus. Ich stieg aus dem Geländewagen und knallte die Tür zu. Ich entschuldigte mich beim Verwalter. In dieser Nacht und bei dieser Stille klang jedes Geräusch wie Donnern, wie Getöse.
»Ich werde hier übernachten. Ach, Ihre Decke. Kommen Sie mich morgen um elf abholen, wenn Ihnen das recht ist.«
Die beiden Männer stimmten zu, es sah lächerlich aus, wie sie vom Wagen durchgeschüttelt wurden.
»Dann, auf Wiedersehen.«
Ich glaube, keiner von beiden hatte sich verabschiedet. In dieser Nacht waren die Worte schwer, sie fielen zu Boden, kullerten herum, wurden schmutzig. Es war besser gewesen, nicht zu sprechen.
Das Haus roch nach verschlossenen Räumen. Es hallte wie in unbewohnten Häusern, obwohl es erst eine Woche leer stand, und die Wände dünsteten den Geruch des nahen Todes aus, dieses Sterbens, das in den Mauern den Gestank von langer Krankheit hinterlässt, den Geruch der Krankenbesuche, der Letzten Ölung, der nicht enden wollenden Rosenkränze aus zahnlosen Mündern, die alle nach schleichendem Tod riechen. In den Dörfern sind die Häuser von diesen Gerüchen durchtränkt, und an ihnen erkennen die Landpfarrer – die alten, die sterben, ohne die drei Wunder in Anspruch zu nehmen, die Gott dem Priesterstand zugesteht – das Geschick der Verstorbenen. Am Geruch. Mutter muss wohl in der Hölle sein. Fast achtzig Jahre auf dieser Erde und gerade mal eine Woche in der Hölle. Ich schaltete den Strom ein. Die Glühbirnen gaben ein so schmutziges, dämmeriges Licht, dass ich mich im Haus nicht genauer umschauen konnte. Dafür würde am nächsten Tag, am Morgen noch Zeit sein. Außerdem fühlte ich mich unwohl, die Kälte war in meinen Körper gekrochen. Ich ging in den zweiten Stock, wo mein Zimmer gewesen war. Dort fand ich Laken und Decken, als hätte alles auf mich gewartet. Unglaublich, dass es im Juli so kalt werden kann. Ich zog mich mit kindlichem Gehabe um und begann, etwas zu träumen, dass ich nicht mehr erinnere. Ich schlief gut, ohne aufzuwachen, von langbeinigen, großkopfigen, handzahmen Spinnen bewacht.

® Stefan Degenkolbe

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