Buchkritik: Alberto Olmos

Nach einer gelungenen Auftaktveranstaltung gestern (… Fotos gib’s in den nächsten Tagen!), geht es am Mittwoch gleich weiter mit Alberto Olmos‘ neustem Roman ‚El estatus‘ (2009). Dazu hier eine Buchkritik:

Alberto Olmos: El estatus

Wie schreibt man vom Nichts? Von der Abwesenheit, von der Un-Zeit? Und vor allem: Wo liegt der Ursprung von alldem? Alberto Olmos, 1975 in Segovia geboren, hat bereits sechs Romane und Erzählbände geschrieben, und mit jedem einzelnen sein erzählerisches Handwerk perfektioniert. Das merkt der Leser schnell: Olmos‘ neuster Roman El estatus (2009), Der Status, spinnt von der ersten Zeile an ein dichtes Netz aus Erzählstimmen und enigmatischen Hinweisen und entfaltet dabei die Geschichte von Mutter und Tochter, Clara und Clarita, die nach dem Umzug vom Land in die Stadt vergeblich auf den Ehemann und Vater warten. Er, der unsichtbare Marionettenspieler des Romans, ein Godot ohne Namen, verkörpert die magische Macht einer anwesenden Abwesenheit. Wie ein allwissender aber stummer Erzähler, der sich aller Figuren des Romangeschehens willkürlich und nach eigenem Plan bedient.

Seine Informationskanäle sind die Bediensteten der Familie, sein Instrument ist die Ahnungslosigkeit von Mutter und Tochter. Seine heimlichen Stützen sind die selbstauferlegten sozialen Schranken, die das Denken, Fühlen und Handeln seiner Frau Clara beherrschen. Diese verläßt die Wohnung nie und verbietet es auch ihrer Tochter Clarita. Weder das Dienstmädchen Patricia, noch Clarita erhalten in nennenswerter Weise die Aufmerksamkeit oder gar Zuneigung der Mutter. Einzig ihre Bücher bilden die fiktionale Wirklichkeit, in der Clara lebt. So schmilzt die Reichweite ihrer Existenz auf die rigorose Ausübung der Rolle als Hausherrin und Mutter, auf das Gebieten und Verbieten, auf das Demonstrieren ihrer Überlegenheit. Eine wachsende, nicht eingestandene Einsamkeit, endlose Langeweile und kapriziöser Überdruss bilden die Kehrseite.

Losgelöst von den Koordinaten der Außenwelt, schrumpft das Leben von Mutter und Tochter zu einem eigensinnigen Mikrokosmos in einem geheimnisvollen Haus, dessen einzige Bewohner – wider Wissen – sie sind. Mit dieser bizarren Züchtung eines ausschließlich weiblichen Existenzraums läßt Alberto Olmos die Abwesenheit des anderen Geschlechts greifbar werden: als unterdrückte Sexualität, rigiden Ausschluß von Körperlichkeit – bis Clara soweit ist, sich den Immobilienmakler Ichvolz, den einzigen männlichen Besucher der Wohnung, zum Liebhaber zu nehmen. Dieses verbotene Überschreiten der Klassengrenzen löst den ersten Faden eines Geheimnisses, das am Ende des Romans die Banalität der Macht bloßlegt. Machtausübung, ob subtile Unterdrückung oder offensichtliche Herrschaft, ist das große Thema des Romans.

Alberto Olmos überzeugt dabei durch erzählerische Raffinesse: Wie aus dem Nichts blendet er kurze Dialoge von Mutter und Tochter ein, die das Romangeschehen rückblickend beobachten, enigmatische Hinweise auf das Verborgene, das noch nicht gewußte Wissen, geben. Auch das rätselhafte Schweigen von Jesualdo, dem stummen Portier, bricht vereinzelt auf: durch in Klammern gesetzte innere Monologe, die ebenfalls ein Wissen offenbaren. Wissen bedeutet Macht, und diese manifestiert sich ebenso durch Sprache wie durch ihr Gegenteil, das Schweigen. Dagegen setzt Alberto Olmos Sprache als Kommunikationsmittel, das Austausch, Nähe, Vertrautheit oder gar Zuneigung befördern könnte, völlig außer Kraft. So ist auch Jesualdo, der einzige „Freund“ von Clarita, vor allem ihr Befehlsempfänger.

Clarita ist fasziniert von den vielen Schlüsseln des Portiers, von den vielen verschlossenen Türen des Hauses. Je tiefer die Tochter in die Hinterzimmer und Dachkammern des Hauses dringt, je dichter sie Phantasien über Geister spinnt, desto mehr entwickelt sich die reale Ereignislosigkeit zum Biotop, in dem sich Phantasien und Träume mit den wenigen Realitätspartikeln vermischen. Und in dem Anfang und Ende, oben und unten, Körper und Geist nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. Dichotomien, wie im europäischen Denken üblich, werden bewußt aufgelöst. Die Einflüsse fernöstlicher Philosophie sind im Schreiben von Alberto Olmos, der drei Jahre lang in Japan gelebt hat, unverkennbar. So läßt sich auch der Romananfang als Antwort auf die Frage am Romanende lesen und also alles von neu beginnen: die zirkuläre Wiederkehr einer Erzählung ohne Ende, deren räumliches und zeitliches Koordinatensystem ins Geheimnisvolle und Rätselhafte ausfranst.

® Katharina Deloglu

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