„Literally speaking“ stellt sich vor

In einer neuen Interviewserie wollen wir literarische Lesereihen und Projekte in Berlin vorstellen. Zum Auftakt haben wir mit Traci Kim gesprochen, der Initiatorin von „Literally Speaking„, einer monatlichen Lesereihe, die sich englischsprachigen Berliner Autor*innen verschrieben hat. Die Reihe hat sich zu einem wichtigen Treffpunkt für eine äußerst vielseitige Community entwickelt.

Erst kürzlich feierte das stets gut besuchte Format „Literally Speaking“ sein zweijähriges Jubiläum. Dass die englischsprachige Autor*innen-Community in Berlin eine so verlässliche Bühne bekommen hat, verdankt sie zu einem guten Teil ihrer umtriebigen, scheinbar nimmermüden Fürsprecherin und Kuratorin Traci Kim, die auch an der Autorenplattform „The Reader Berlin“ mitwirkt und bestens vernetzt ist.

Kannst Du uns kurz erzählen, was „Literally Speaking“ genau ist? Was schwebte Dir vor, als Du damit angefangen hast?

„Literally Speaking“ ist eine monatliche Lesereihe, die Berliner Autorinnen und Autoren und Werke, die sie zu ihren Geschichten inspiriert haben, vorstellt. Jeden Monat tragen fünf Autoren einen Prosatext vor, den sie geschrieben haben, und kombinieren ihn mit einem Autor, der ihr Werk inspiriert. So wird deutlich, was unsere Autoren lesen. Dabei entsteht eine kollektive Leseliste, deren Geschichten die Mitglieder der Community untereinander verbindet.

© Literally Speaking

Wie stößt Du auf Autoren, wie finden Autoren zu Dir? Wie wählst Du das Programm für die Abende aus?

Die Vorlesenden kommen von überall her. Zwar ist die Reihe auf Englisch, aber nicht unbedingt auf Muttersprachler beschränkt. „Literally Speaking“ hat Autoren aus Deutschland, Finnland, Trinidad und Tobago, Schweden, Indien, Frankreich, Israel und weiteren Ländern vorgestellt. Ich versuche derzeit die Reihe auch für Autoren zu öffnen, die nicht auf Englisch schreiben. Autoren können auch Übersetzungen ihrer Texte einreichen, und wir können dann mit der Zeitform bei den Verben und bei den Präpositionen ein bisschen was drehen, aber ich interessiere mich im Wesentlichen für die Geschichten. Ich möchte, dass „Literally Speaking“ eine inklusive Plattform ist, die wirklich zeigt, was die Menschen in Berlin schreiben.

Es gibt auch Autoren, die schon mehrfach gelesen haben, das liegt vor allem daran, dass sie mir weiterhin ihre Geschichten schicken. Mein Ratschlag ist: Schickt eure Texte, so früh es geht, und schickt oft!

Ich wähle die Geschichten, die das Thema des Monats auf nuancierte Weise interpretieren. Ich wähle dann eine Abfolge von fünf Geschichten, die gut miteinander funktionieren. Dabei geht es nicht nur um das Funktionieren einer guten Geschichte, sondern stärker noch um die Bewegung des ganzen Abends. Ich kuratiere die Reihe auf Grundlage der Gefühle, die ein Publikum über den Gesamtabend verspürt.

Du erwähntest gerade, dass die Leseabende unter einem bestimmten Thema stehen. Wie entscheidest Du Dich für die Themen der Lesungen? Entsteht das bei Sichtung der Einsendungen oder hast Du bereits ein Thema im Hinterkopf und suchst dann nach passenden Autoren und Texten?

Die Themensuche ist in der Tat der schwierigste Teil für mich! Ich versuche immer etwas Einladendes zu finden, das aber flexibel genug ist, damit die Leute es auf ihre eigene Weise interpretieren können. Es macht mehr Spaß, wenn sich ein Thema in eine Richtung entwickelt, die Du nicht vermutet hast. Gleichzeitig aber möchte ich, dass die Reihe wirklich zum Ausdruck bringt, was Autoren in Berlin bewegt und wofür sich das Publikum interessiert, weshalb ich bei der Feier zum zweiten Geburtstag der Reihe, die auch die Printausgabe vorgestellt hat, Boxen aufgestellt habe, in denen die Menschen Vorschläge für Themen einwerfen konnten. Es gibt also definitiv genug Stoff für den Rest des Jahres und darüber hinaus!

Inzwischen kennen Dich viele als Vermittlerin, Netzwerkerin und Gastgeberin der englischsprachigen Literaturszene Berlins. Aber was hast Du getan, bevor Du Dich für die englischsprachige Literatur in Berlin eingesetzt hast? Wie kam es dazu, dass Du Dich so vehement als Vermittlerin engagierst?

So lange ich denken kann, wollte ich Bücher schreiben. Ich habe Creative Writing und Spanish Literature studiert und immer gedacht, dass ich Romanautorin werden würde. Ich habe dann bei einigen Indie-Verlagen in Chicago gearbeitet und da gemerkt, dass ich eine bessere Lektorin als Autorin sein könnte. Zunächst wollte ich den Traum vom eigenen Buch nicht aufgeben, doch je mehr ich mit anderen Autoren zusammenarbeitete, desto klarer wurde mir, dass ich genauso glücklich damit war, die Geschichten anderer zu entwickeln.

Ich habe seitdem bemerkt, dass man an der Uni – zumindest in den USA – nichts über all die verschiedenen Facetten der Verlagsbranche erfährt. Man wird als Autor ausgebildet, man strebt danach sein Buch zu schreiben, aber mir war nie bewusst, welche weiteren wichtigen Rollen im Verlagswesen existieren. Erst in den letzten paar Jahren habe ich gemerkt, dass ich die stärkste Erfüllung erlebe, wenn ich als Fürsprecherin für Autoren aktiv bin und anderen Schriftstellern dabei helfe, die richtigen Worte zu finden.

Nun hättest Du Deine Lesereihe überall auf der Welt aufbauen können. Und es gab ja auch eine Gast-Ausgabe in London. Es drängt sich also die Frage auf: Was hat Dich eigentlich nach Berlin verschlagen?

Ich wünschte, ich hätte eine bessere Antwort, aber es ist einfach so, dass ich nie in Berlin gewesen bin und dachte, dass es ein schöner Ort zum Leben wäre und habe mich einfach ohne Rückflugticket her begeben. Wie sich gezeigt hat, lag ich richtig! Inzwischen kann ich mir nicht mehr vorstellen, irgendwo anders in der Welt zu leben.

Wie kam es zu der Lesereihe? Was gab den Anstoß für Dich loszulegen?

Ich habe mir damals eine Auszeit von der Verlagswelt genommen und bin nach Berlin gezogen. Nach der wirklich zermürbenden WG-Suche fand ich irgendwann meine erste feste Wohnung, und dann eröffnete ein Buchladen direkt auf der anderen Straßenseite. Es war, als würde mir das Universum ein Zeichen senden. Ich ging hinein und fragte den Besitzer, ob dort Veranstaltungen geplant seien. Er antwortete, er habe erst seit fünf Tagen geöffnet – also nein. Das war die Buchhandlung Buchhafen, und sie wurde das Zuhause von „Literally Speaking“ im ersten Jahr der Lesereihe. Ich bin Sophie und Enis so dankbar, dass sie mich ihren Buchladen jeden Monat bis zum Bersten mit Leuten füllen ließen und dass sie das bestmögliche Zuhause waren, das ich mir wünschen konnte.

Gibt es im Anschluss an die Lesungen Gespräche? Verwandelt sich alles am Schluss in eine Party?

Immer! Viele bleiben hinterher noch vor Ort, und es ist ja gerade das Coole, dass wir über all die neuen Geschichten reden können, die wir gerade gehört haben. Ich finde es schön, dass auch Leute, die allein kommen, statt des üblichen „Woher bist Du? Bist Du öfters hier?“ auf natürliche Weise die Geschichten haben, über die sie miteinander reden können. Schließlich haben alle gerade die gleichen Geschichten gehört.

Ich liebe es, wenn jemand so sehr von einer Lesung begeistert wurde, dass sich beim nächsten Monat herausstellt, dass er in der Zwischenzeit das Buch gelesen hat und es unbedingt besprechen will. Dann zeigt sich, dass andere dasselbe fühlen, und es gibt automatisch etwas Neues, worüber sie sprechen können.

Viele der Verbindungen, die sich aus der Lesereihe ergeben, haben ihre Grundlage in der Literatur und das ist das Beste an „Literally Speaking“.

© Literally Speaking

Ein monatliches Projekt zu organisieren, kann erfüllend sein, aber was gibt Dir die Kraft das alles kontinuierlich weiterzumachen? Und wer sind Deine Helfer?

Es ist viel Arbeit, aber „Literally Speaking“ läuft inzwischen wie eine gut geölte Maschine. Ich habe mir selbst geschworen, dass der Tag, an dem ich mich nicht mehr darüber freue, eine Lesereihe zu veranstalten, der Tag ist, an dem ich die Reihe einstellen werde. In den Stunden vor der Veranstaltung bekomme ich immer noch einen Kick und ich freue mich wirklich darauf, die Community um unsere Autoren zu versammeln.

Ich könnte das aber alles nicht tun ohne die Unterstützung von Andy Jakubowski, meinem Designer, der sehr viel der visuellen Identität von „Literally Speaking“ geschaffen hat. Dann ist da Fred Marschall, der die Originalillustration des Kamels angefertigt hat, das jetzt Miles Humphrey heißt. Als ich zum ersten Mal das visuelle Aushängeschild dessen sah, was ich mir für die Reihe vorgestellt habe, wurde alles erst richtig lebendig.

© Literally Speaking

Dann natürlich Enis Oktay und Sophie Wilhelm, die Besitzer des Buchhafens, die mir Vertrauen geschenkt und mich in ihrer Buchhandlung jeden Monat Lesungen veranstalten lassen haben. Und Tom Bresemann, der Leiter der Lettrétage, der unsere Familie zu sich aufgenommen hat, als wir ein größeres Zuhause brauchten.

Wir sind insgesamt Teil einer rücksichtsvollen und hilfsbereiten Community! Was gut ist für „Literally Speaking“, ist auch gut für „The Reader Berlin“ und das ist auch gut für „Fiction Canteen“, „SAND Journal“, „DADDY Magazine“ und jeden, der in Berlin schreibt und liest.

Eine Frage haben wir bisher außen vorgelassen. Es ist für viele Projekte zentral: Wie finanzierst Du die Reihe? Wirst Du von Sponsoren unterstützt? Kannst Du auf Fördergelder zurückgreifen?

Die Lettrétage lässt uns jeden Monat ihre wunderschönen Räumlichkeiten nutzen. Ansonsten ist es eine zu 100% von der Crowd finanzierte Do-It-Yourself-Reihe. Die Einnahmen aus den Eintrittspreisen werden jeden Monat unter den fünf Autoren des Abends aufgeteilt, und ich spare ein bisschen was an, um am Ende des Jahres die Printausgabe finanzieren zu können.

© Literally Speaking

Ich habe mir von Anfang an vorgenommen, dass ich meine Zeit, aber nicht mein Geld in „Literally Speaking“ investiere. Der Fakt, dass die Reihe direkt vom Publikum finanziert wird, beweist, dass „Literally Speaking“ aufgrund eines vorhandenen Interesses in der Community existiert; es gibt da einen direkten Zusammenhang. Die Menschen kommen Monat für Monat wieder, und Menschen senden mir weiter ihre Geschichten. Und dann wieder alles auf Anfang!

Du nutzt häufig das Wort Community. Das wäre fast schon ein eigenes Interview wert. Aber zentral scheint mir bei Dir dabei die Idee des Zusammenkommens, das Aufeinandertreffen, das gegenseitige Unterstützen und Austauschen. Und das ist etwas, wonach viele suchen, insbesondere, wenn sie neu irgendwo hinkommen. Berlin kann da auf den ersten Blick etwas rau scheinen. Welchen Ratschlag würdest Du jungen englischsprachigen Autoren geben, die gerade nach Berlin gekommen sind?

Geh überall hin! Alle Künstlerkreise können zunächst etwas einschüchternd oder elitär wirken, aber man merkt sehr schnell, dass wir uns alle unterstützen und dass es eine großartige Community ist.  Es gibt hier für jeden etwas, und wenn Du etwas nicht findest, was Du gern repräsentiert sehen willst, bau es selbst auf und die Leute werden kommen!

Der nächste Termin findet am 29. Mai 2019 in der Lettrétage statt.

© Literally Speaking

Kurzer Steckbrief

Traci Kim ist Initiatorin von „Literally Speaking“ und Mitarbeiterin der Plattform „The Reader Berlin“.

Deine drei Lieblingsautoren? Das ist echt schwer! May-Lan Tan, Rowan Hisayo Buchanan, Gary Shteyngart

Lieblingsort(e) in Berlin? Tempelhofer Feld, Körner Park

Dein Lieblingswort auf Deutsch? Da gibt es viele. Vermutlich „Handschuhe“ oder „Mietwagen“.

Zur Erinnerung: Als Ankerinstitution der freien Literaturszene stellt die Lettrétage ihre Räume Lesebühnen und Literaturinitiativen kostenfrei zur Verfügung. Mehr zur Raumnutzung erfahren Sie hier.