
Im Rahmen des Literaturfestivals Barrio | Bairro Berlin, das vom 10. bis 17. Oktober stattfindet, wird es in der Lettrétage fünf Veranstaltungen geben. Das Festival möchte die lateinamerikanische Literaturszene in Berlin sichtbar machen und ihre Akteur*innen besser miteinander vernetzen. Die Veranstaltungen setzen sich mit Berlin als zentralem Ort des lateinamerikanischen Schreibens außerhalb Lateinamerikas auseinander und finden auf Deutsch & Spanisch oder Deutsch & Portugiesisch mit Simultanübersetzung statt. Während der Gespräche und Lesungen werden auch Videos und Soundinterventionen verschiedener Künstler*innen gezeigt.
Als Einstimmung auf das Festival haben wir eine kleine Interviewreihe vorbereitet, um die Hintergründe des Festivals im allgemeinen, aber auch die Ideen und Vorstellungen einiger Autor*innen und Akteur*innen näher zu beleuchten. Dafür haben wir zuerst mit dem Autor und Übersetzer Douglas Pompeu vom Barrio-Organisationsteam über die grundsätzliche Idee des Festivals, dessen Planung und Organisation sowie dessen Ziele gesprochen.
1. Wie ist die Idee für Barrio | Bairro Berlin entstanden und welche Ziele verfolgt ihr mit dem Festival?
Das Festival Barrio | Bairro Berlin entstand aus dem Wunsch heraus, die vielfältigen und oft marginalisierten Stimmen der lateinamerikanischen Literatur und Kultur in Berlin sichtbarer zu machen. Der Begriff „Latinofuturismus“, der das Festival prägt, verweist auf eine dekonstruktive und transtemporale Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das Festival zielt darauf ab, die Geschichte und Präsenz lateinamerikanischer Schriftsteller*innen und Künstler*innen in Berlin zu beleuchten und ihre Werke in einen globalen/lokalen Dialog zu stellen. Ziel ist es, nicht nur die literarische Vielfalt zu präsentieren, sondern auch die in Berlin lebenden lateinamerikanischen Akteur*innen zu vernetzen und langfristige Synergien zu schaffen.
2. Barrio und Bairro bedeuten so viel wie Nachbarschaft/ Kiez/ Viertel. Warum habt ihr euch für genau diesen Titel entschieden und was soll er ausdrücken?
Der Titel „Barrio | Bairro“ Berlin wurde bewusst gewählt, um die Idee einer Gemeinschaft und eines gemeinsamen Raumes zu betonen, in dem lateinamerikanische Kulturschaffende in Berlin sich begegnen und miteinander interagieren können. Das Wort „Barrio“ bzw. „Bairro“ verweist auf den urbanen Raum, in dem soziale, kulturelle und politische Dynamiken stattfinden. Es soll ausdrücken, dass Berlin für viele lateinamerikanische Autor*innen und Künstler*innen zu einem neuen Zuhause geworden ist, einem Kiez, in dem ihre Stimmen gehört und ihre Werke gefeiert werden. Dieser Titel reflektiert die Idee einer transnationalen und horizontalen Gemeinschaft, die durch ihre geteilten Erfahrungen und Visionen verbunden ist.
3. Wie habt ihr entschieden, welche Themen für das lateinamerikanische Schreiben in Berlin relevant sind und im Rahmen des Festivals verhandelt werden sollen?
Die Themen von Barrio | Bairro Berlin wurden in enger Zusammenarbeit mit den beteiligten Initiativen und Künstler*innen entwickelt. Diese Akteure stehen im Zentrum des Festivals und spiegeln in ihrem kulturellen Aktivismus aktuelle literarische und kulturelle Diskurse wider, die für die lateinamerikanische Diaspora in Berlin wichtig sind. Die Idee war, Themen zu wählen, die sowohl historische als auch aktuelle Aspekte beleuchten, wie z.B. die koloniale Vergangenheit, Migrationserfahrungen, postkoloniale Identität und eine spekulative Zukunft. Diese Themen werden im Rahmenprogramm, in Workshops, Lesungen und Performances auf unterschiedliche Weise erkundet, um ein breites Spektrum an Perspektiven und Herangehensweisen an diese Themen zu bieten.
4. Barrio | Bairro Berlin findet zum ersten Mal statt. Wie kann man sich die Planung eines Festivals genau vorstellen? Was habt ihr bei der Organisation gelernt und was würdet ihr Menschen raten, die überlegen ein Festival zu organisieren?
Die Planung eines Festivals wie Barrio | Bairro Berlin ist ein komplexer und vielschichtiger Prozess, der enge Zusammenarbeit und Flexibilität erfordert. Es beginnt mit der Entwicklung eines klaren kuratorischen Konzepts, das die Ziele und die Botschaft des Festivals definiert. Die Auswahl der teilnehmenden Künstler*innen und der Veranstaltungsorte ist entscheidend, um eine kohärente und zugleich vielfältige Festivalerfahrung zu schaffen. Ein wichtiger Lernpunkt war die Bedeutung von Netzwerken und Kooperationen, um Ressourcen zu bündeln und ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Mein Rat an zukünftige Festivalorganisator*innen wäre, eine starke Vision zu haben, aber auch offen für unerwartete Entwicklungen zu sein, die den kreativen Prozess bereichern können.
5. Mehr als 50 Autor*innen, Künstler*innen und Übersetzer*innen sind an dem Festival beteiligt und wirken an Lesungen, Podiumsgesprächen, Workshops, Performances, Spaziergängen und Klangritualen mit. Wie gestaltet sich die Koordination so vieler Menschen und Formate? Wonach habt ihr entschieden, welche Künstler*innen und Kulturaktivist*innen am Festival beteiligt sind und in welchen Formaten die jeweiligen Themen behandelt werden sollen?
Die Koordination einer so großen und vielfältigen Gruppe von Akteur*innen erfordert eine flexible, d.h. anpassungsfähige Planung. Die Auswahl der Künstler*innen und Aktivist*innen erfolgte auf Grundlage ihrer Relevanz für die thematischen Schwerpunkte des Festivals und ihrer Fähigkeit, innovative Perspektiven einzubringen. Jedes Format, ob Lesung, Workshop oder Performance, wurde so gestaltet, dass es den spezifischen Beitrag der jeweiligen Künstler*innen hervorhebt und gleichzeitig einen Dialog zwischen den verschiedenen Disziplinen ermöglicht. Unsere Aufgabe als Organisationsteam bestand mehr darin, die Ideen und Energien, die die Initiativen und Künstler*innen bereits hatten, zu kanalisieren und ihnen einen geeigneten Rahmen zu geben. Die lateinamerikanische Literaturszene in Berlin ist autonom, und wir wollen nicht lenken, sondern zuhören und ihren Vorschlägen folgen.
6. Um langfristig mehr Sichtbarkeit für lateinamerikanische Literatur in Berlin zu schaffen, wird von euch eine virtuelle Karte erstellt, die auch nach dem Festival bestehen bleibt und kontinuierlich erweitert wird. Wie genau soll diese Karte genutzt werden, um auf lateinamerikanische Literatur aufmerksam zu machen? Welche Möglichkeiten bietet die Kartogaphierung?
Die virtuelle Karte, die im Rahmen von Barrio | Bairro Berlin erstellt wird, dient als dynamisches Werkzeug zur Förderung und Vernetzung der lateinamerikanischen Literatur in Berlin. Sie wird kontinuierlich erweitert und soll nicht nur die Standorte lateinamerikanischer Initiativen in der Stadt dokumentieren, sondern auch als Plattform für zukünftige Projekte und Kooperationen dienen. Diese Kartographie ermöglicht es, die literarischen Netzwerke sichtbar zu machen und ihre Reichweite zu vergrößern. Sie bietet eine innovative Möglichkeit, Literatur im städtischen Raum zu verorten und gleichzeitig eine virtuelle Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu schlagen.