„[Jetzt] scheinen meine Bücher weniger exotisch und skurril, jetzt glaubt man ihnen.“ – Interview mit Svetlana Lavochkina

Am Freitag, den 01. Juli, findet die Veranstaltung ZWISCHEN DNIPRO UND KRYM | Між _Дніпром _і _Кримом _ in der Lettrétage statt. Die ukrainische Autorin Svetlana Lavochkina und ihr Landsmann und Schriftstellerkollege Oleg Senzow werden gemeinsam mit den Übersetzerinnen Diana Feuerbach und Claudia Dathe über ihre Bücher sprechen. Sowohl Lavochkinas Roman DIE ROTE HERZOGIN als auch Senzows autobiographisches Buch HAFT sind kürzlich auf Deutsch bei Voland&Quist erschienen.

Zu diesem Anlass haben wir mit Svetlana Lavochkina gesprochen.

Sie ist Autorin sowie Übersetzerin ukrainischer und russischer Lyrik. Geboren und aufgewachsen in der östlichen Ukraine, lebt sie heute mit ihrer Familie in Leipzig, wo sie als Lehrerin arbeitet. Lavochkina schreibt auf Englisch, ihre Texte wurden bisher in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien in den USA und Großbritannien veröffentlicht. 2013 wurde ihre Novelle DAM DUCHESS mit dem Pariser Literaturpreis ausgezeichnet. Der Roman PUSCHKINS ERBEN, im Original ZAP, stand 2015 auf der Shortlist vom Tibor Jones Pageturner Preis in London.

Lettrétage: In Ihrem Roman DIE ROTE HERZOGIN erzählen Sie die Vorgeschichte zu Ihrem ersten Buch PUSCHKINS ERBEN. Dabei beschäftigen Sie sich mit dem Bau des Dnjepr Staudamms, einem Prestige-Projekt des Stalin-Regimes. Was hat Sie an dieser historischen Thematik gereizt?

Svetlana Lavochkina: Am Dnjepr Staudamm in Zaporizzhia bin ich aufgewachsen. Dort, wie auch alle anderen Zaporizzhia-Kinder, bin ich mit meiner Familie zum Flussstrand gegangen, dort flanierte ich mit meinen ersten Dates; dort wurden auch meine Hochzeits-Glanzfotos gemacht. Paris – Eiffelturm; London – Big Ben; Pisa – Schiefer Turm; Zaporizzhia – ja, Staudamm (egal, ob sich die Welt dafür genauso interessiert), so ist ja das Paradigma. Der Staudamm war für mich wie die Wohnzimmermöbel, vielbenutzter und wenig beachteter Daseinshintergrund. Ich habe mich nie sonderlich für die Geschichte dieses Giganten interessiert, denn Heimatorte sind dafür da, um sie langweilig zu finden und nur weg davon zu wollen. Erst als das dicke Geographie- und Zeitpolster der Emigration angelegt wurde, habe ich angefangen, den Staudamm nostalgisch zu betrachten und damit auch historisch und seriös: Der mächtige Fluss und Diktatur, der Kampf zwischen den beiden, den der Dnjepr kurzfristig und die Diktatur aber langfristig verlor.

Lettrétage: Sie sind in der Ukraine aufgewachsen und als junge Frau nach Deutschland gekommen. Ihre Bücher verfassen Sie jedoch auf Englisch. Welche Wirkung hat es auf Sie, nicht in der eigenen Muttersprache zu schreiben? 

Svetlana Lavochkina: Englisch ist seit der ersten Klasse in der sowjetischen Schule für mich immer ein Zufluchtstort vor allen Regeln und Einschränkungen gewesen. Das Schreiben war von Anfang an ein Versteckspiel: als Autor:in kann man sich eine andere Identität in einer Fremdsprache anlegen und pflegen: eine freiere, frechere, kühnere: du bist von den Gesetzen dieses „Sprachlands“ befreit, weil du sie nicht kennst. Und dich kennt man als „gewöhnliche“ Person mit deiner ukrainischen „Füllung“ und deutscher Wohnadresse und Arbeitsort auch nicht: mach, was du willst. Außerdem ist es so, dass ich vorwiegend mit den klassischen und modernen englischsprachigen Autoren als Vorbildern aufgewachsen bin und mir das Handwerk von ihnen abgeschaut und für meine Bedürfnisse zugeschnitten habe. Auf Englisch habe ich die meisten Bücher gelesen.

Lettrétage: Ihr neuestes Buch ist in Deutschland kurz vor dem Beginn des brutalen russischen Angriffs auf die Ukraine erschienen. Wie hat sich ihr Schreiben seit dem Beginn des Krieges verändert? Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Bücher seitdem anders wahrgenommen werden?

Svetlana Lavochkina: Der Krieg lässt den von ihm betroffenen Literaten, ob in der Ukraine oder im Ausland, gerade nicht viel Zeit zum „schönen“ Schreiben. Diejenigen, die nicht im Krieg mit Waffen kämpfen, sind stark in die Arbeit mit Flüchtlingen, Spendensammeln und Arbeit mit Medien in Form von Interviews oder Berichten involviert. Ja, es werden zahlreiche Texte verfasst, jedoch sind sie eher sachlich als literarisch. Sachlich, aber doch sehr direkt emotional. Die Poesie, die jetzt aus den Federn der Dichter kommt, ist auch sachlich und nackt. Metaphern sind weggeschnitten wie die Zöpfe der Soldatinnen, die ihre Heimat verteidigen. Ja, dadurch, dass ich viel über das Leben in einer sowjetischen Diktatur geschrieben habe und jetzt eine noch brutalere und hässlichere „Tochter“ dieser Diktatur heranwuchs, die so dick wurde, dass sie aus allen Nähten der Welt geplatzt ist, scheinen meine Bücher weniger exotisch und skurril, jetzt glaubt man ihnen.

Lettrétage: Zu guter Letzt: Haben Sie bereits ein neues Projekt in Planung?

Svetlana Lavochkina: Ja. Aus Aberglaube verrate ich aber noch nichts davon.

Lettrétage: Vielen Dank für das Interview!

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