Interview mit Lena Hintze vom Exzellenzcluster „Temporal Communities“

Am 20. Oktober organisiert das Exzellenzcluster Temporal Communities. Doing Literature in a Global Perspective in Kooperation mit der Lettrétage und dem Collegium Hungaricum Berlin die Veranstaltungsreihe Enter Literature. Im Rahmen literarischer Performances zeigen Künstler*innen, wie neue Formen der literarischen Präsentation aussehen können. Nach dem Motto „Lesungen zeigen Literatur“ widmen sie sich dabei größeren Fragen rund um das Verhältnis von Literatur und Lesung. Der darauf aufbauende zweitägige Workshop setzt sich anschließend diskursiv mit dem Gegenstand der Autor*innenlesung aus der Perspektive der sowohl künstlerischen Praxis als auch theoretischen Verankerung auseinander. 

Da die Lettrétage sich seit ihrer Entstehung mit Formen der Darbietung beschäftigt, die den ‚klassischen‘ Modus der literarischen Rezeption gezielt unterlaufen oder überschreiten, ist es uns eine große Freude, Kooperationspartnerin dieses Projekts zu sein. Anlässlich dessen haben wir mit Lena Hintze, der Projektleiterin von „Temporal Communities“, über Lesungsformate und Autor*innenrollen gesprochen. 

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Was war die Ausgangsidee hinter dem Projekt „Enter Literature“? Mit welchen Fragen an die Literatur startet das Projekt? Und was hat es mit dem Namen auf sich? 

Ich arbeite am Exzellenzcluster „Temporal Communities. Doing Literature in a Global Perspective“, das das ‚doing literature‘ bereits im Namen trägt, zu Autor*innenlesungen. Mich interessieren im Speziellen Lesungsformate, die anders ablaufen, als dass ein*e Autor*in auf der Bühne an einem Tisch sitzt und aus dem jüngst veröffentlichten Buch vorliest. Es geht um Literaturpräsentationen, die bewusst mit dem Sprechen oder mit Improvisation arbeiten, bei denen der Text mitunter erst in der Aufführungssituation entsteht, die Sounds und Videos einsetzen, um Text, der sich in den Raum ausdehnt. „Enter Literature“ heißt das Projekt in Anlehnung an Regieanweisungen in Dramentexten, die die Auftritte von bestimmten Personen anzeigen, z. B. „Auftritt Ophelia“ (im Englischen: „Enter Ophelia“). Es geht also um ein textliches Moment, was performativ umgesetzt wird – daran sind auch die Kernfragen geknüpft, die mich umtreiben: Wie ist das Verhältnis zwischen Text und Darbietung? Bildet die Lesung, neben dem Buch – das ja im Literaturbetrieb immer noch das gängige Veröffentlichungsmedium ist – ein eigenständiges Kunstwerk? Wie ist das Performative in den Texten selbst angelegt? Wie erweitert die Aufführung den geschriebenen Text?

Was kann mit einem literarischen Text passieren, wenn er performativ dargestellt wird? Welche Rolle spielen dabei Repräsentationsdiskurse, die sich z.B. um die Identität der Schreibenden und Performenden drehen? 

Nach einem Auftritt des Lyrikers Thomas Kling hat mal ein Zuhörer gesagt: „Jetzt, wo ich Sie gehört habe, verstehe ich Ihre Texte viel besser.“ Es können sich also vielleicht andere Verstehensdimensionen eröffnen, wenn man einen Text nicht nur geschrieben liest, sondern aufgeführt sieht und hört, gerade wenn es sich um einen Text handelt, dessen Inhalt oder Form sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Das ist aber definitiv eine Frage, mit der die Veranstaltungen im Rahmen von „Enter Literature“ sich intensiv auseinandersetzen – gemeinsam mit dem Publikum und mit den beteiligten Künstler*innen und Wissenschaftler*innen. Der Workshop im Anschluss an den Performance-Abend bringt künstlerische und theoretische Perspektiven auf die verschiedenen Aspekte der aufgeführten Literatur zusammen, darunter auch die Frage nach dem „Wer spricht?“ 

Welche Rolle/Funktion kommt dem*der Autor*in bei der performativen Darstellung von Literatur zu? Welche dem*der Perfomer*in? 

Das Interessante ist, dass die Rollen von Autor*in und Performer*in an unserem Performance-Abend zusammenfallen. Aber auch da stellt sich natürlich die Frage: Wer spricht da eigentlich? Ist das der*die Autor*in des Textes, ist es jemand ‚außerhalb‘ des Textes, ist das – wenn ein Gedicht performt wird – womöglich das lyrische Ich, das da agiert?

Bei traditionellen Autor*innenlesungen habe ich oft das Gefühl, dass der*die Autor*in auch als Privatperson auf der Bühne ist, weil die Anwesenden gern den Menschen hinter dem Buch kennenlernen wollen und wissen möchten, wie bestimmte Textabschnitte entstanden sind, welche Inspiration es dafür gab. Dieser Dimension kommt bei Lesungen, die eine eigene Aufführungsästhetik haben, keine große Bedeutung zu. Die funktionieren eher wie Performances.

Wird bei der schriftlichen Produktion des darzustellenden Textes mitgedacht, dass er performt wird? 

Es gibt da ganz unterschiedliche Herangehensweisen von einzelnen Autor*innen, die beispielsweise vom Einbezug phonetischer Schreibweisen über das Layout und den Satz eines Textes bis hin zu spezifischen Notations- oder Sprachformen reichen. Die Frage ist aber auch, ob dem Auftritt überhaupt ein schriftlicher Text zugrunde liegt und ob es nicht auch geeignetere (Veröffentlichungs-)Formen von solchen darbietungsbezogenen Texten gibt als gebundene Bücher – vielleicht das lose Blatt- und Materialsammlungen von allen Stationen/Versionen eines Textes, Hörbücher, Radiosendungen, Videos oder durch Bilder angereicherte Druckwerke.  

Magst du uns zum Schluss noch etwas zu den Performenden erzählen? Was ist deren Hintergrund und worauf freut ihr euch besonders? 

Wir haben für den Abend die sechs Autor*innen Yevgenia Belorusets, Mara Genschel, Martina Hefter, Carsten Schneider, Kinga Tóth und Mathias Traxler eingeladen, die mit unterschiedlichen Mitteln Text aufführen. Manche von ihnen arbeiten ganz nah am und viel mit dem Text an sich, damit, wie man ihn spricht. Manche nehmen andere als textliche Mittel hinzu, wie Video, Bilder, Sounds, Musik und Collagen, getanzt wird auch. Teilweise sind die Beteiligten ’nur‘ Autor*innen, teilweise arbeiten sie in mehreren künstlerischen Disziplinen. Es ist genau dieses Spektrum an unterschiedlichen Aufführungsformen und kunstspartenübergreifenden Zusammenhängen, was interessant zu werden verspricht. Die Texte an sich werden sich nicht unter einen Nenner bringen lassen können, was die Darbietungen aber eint, ist ihr performativer Charakter. Ein Vorbeikommen und Miterleben lohnt sich also!

Mara Genschel, eine der Künstler*innen bei „Enter Literature“


Enter Literature findet am 20. Oktober bei der Lettrétage statt. Der anschließende Workshop kann am 21. und 22. Oktober besucht werden.

Um kostenfreie Anmeldung für alle Termine wird gebeten.