Im Gespräch: Sharmilla Beezmohun von Speaking Volumes (London)

Übersetzt aus dem Englischen von Katrin Behringer.

Das KuratorInnen-Team von Speaking Volumes organisiert literarische Veranstaltungen, in denen vor allem internationale nicht-weiße AutorInnen zu Wort kommen. Eine weitere Besonderheit: Die Werke werden nicht vorgelesen, sondern in unterschiedlicher Weise auf der Bühne performt. Für den am 16. November im Literaturhaus Lettrétage stattfindenden Abend haben Sharmilla Beezmohun und ihre MitstreiterInnen ein außergewöhnliches Programm zusammengestellt, um dem Berliner Publikum vier SchriftstellerInnen aus aller Welt zu präsentieren.

Julia Shimura: Das 2013 von dir und deiner Mitgründerin Sarah Sanders ins Leben gerufene Produktionsbüro Speaking Volumes entwickelt Veranstaltungsformate mit internationalen Autorinnen und Autoren, denen ihr in Großbritannien eine Bühne geben wollt. Euer Netzwerk umfasst mehr als 200 KünstlerInnen, von denen die meisten nicht-weißer ethnischer Herkunft bzw. „People of Color“ sind. Wann genau habt ihr euch selbstständig gemacht? Was war der Ausgangspunkt?

Sharmilla Beezmohun: Eigentlich haben wir Speaking Volumes schon 2010 gegründet. Sarah und ich hatten uns beim internationalen PEN kennengelernt, wo wir gemeinsam für die Organisation des hauseigenen fünftägigen Literaturfestivals zuständig waren. Nach zwei Jahren stellten wir dann fest, dass wir Lust hatten, unsere eigenen Veranstaltungen zu organisieren, Events mit einer größeren thematischen Bandbreite als das PEN-Festival. Wir fingen klein an und entwickelten zunächst Veranstaltungen im Auftrag von Institutionen wie dem British Council. 2012 erhielten wir dann eine finanzielle Förderung, um gemeinsam mit dem Southbank Centre die Großbritannien-Lesereise von Poetry Parnassus zu organisieren – ein Kulturereignis, für das LyrikerInnen aus allen Ländern der Welt nach London eingeladen wurden, um dort im Rahmen der Kulturolympiade an verschiedenen Veranstaltungen teilzunehmen.

In dieser Zeit stieß auch Nick Chapman zu Speaking Volumes. Wir arbeiteten alle drei in Teilzeit, und dennoch gelang es uns, über 30 „Poetry Parnassus“-Veranstaltungen zu stemmen. Diese fanden, im Anschluss an die Veranstaltungen in London, über einen Zeitraum von zwei Wochen statt, und zwar in ganz Großbritannien – über 50 Dichter und Dichterinnen nahmen daran teil. Das war eine echte Feuertaufe, gleichzeitig aber auch ein großer Erfolg – von dem wir bis heute zehren. Es inspiriert und motiviert uns zu wissen, dass wir ein breites Spektrum spannender Veranstaltungen mit vielfältigen AutorInnen auf die Beine stellen können, die in Großbritannien womöglich noch relativ unbekannt sind, aber dennoch – dank einer sorgfältigen Kuratierung und durchdachter Marketingmaßnahmen – ein großes Publikum anziehen. Seit 2012 haben wir Speaking Volumes dann zu dem weiterentwickelt, was es heute ist.

Julia Shimura: „Von der Buchseite auf die Bühne, von Wörtern zu Musik, von ruhenden Büchern zu aktiver Bewegung“ – das versprecht ihr in der Ankündigung zu eurer Veranstaltung, die im November in Berlin stattfinden wird. Normalerweise treten bei euren Lesungen ausschließlich Autorinnen und Autoren auf, die ihre literarischen Werke als Performance inszenieren. Warum genau habt ihr diesen Ansatz gewählt? Hat das Konzept auch etwas mit der ethnischen Herkunft der PerformerInnen zu tun – also mit der Tatsache, dass es sich um marginalisierte AutorInnen handelt?

Sharmilla Beezmohun: Ja, dass es sich um „marginalisierte“ AutorInnen handelt, spielt für uns eine große Rolle. Bei unseren Veranstaltungen geht es uns darum, AutorInnen eine Bühne zu geben, die unter normalen Umständen vielleicht gar nicht die Möglichkeit hätten aufzutreten, entweder aufgrund von Ungleichheiten bezüglich ethnischer Herkunft, Geschlecht oder Klasse, oder weil sie nicht als Teil des literarischen Establishments gelten. Daneben arbeiten wir mit SchriftstellerInnen aus dem Ausland, die dem britischen Publikum noch weitgehend unbekannt sind. Seit kurzem sind wir außerdem dazu übergegangen, britische Autorinnen und Autoren in andere Länder zu holen. In jedem Fall stecken wir viel Zeit und Mühe in die Entwicklung von Veranstaltungen, die sowohl den SchriftstellerInnen als auch dem Publikum auf den Leib geschnitten sind. Ein Autor hält vielleicht lieber einen Vortrag in einer Schule oder einer Bibliothek, für eine andere Autorin eignet sich eher eine Multimedia-Performance in einem Theater oder auf einem Literatur- oder Musikfestival.

Ein Beispiel für die Vielseitigkeit unserer Arbeit sind die „Ranting Poetry Tours“, die wir von 2015 bis 2016 organisiert haben. Bei Ranting Poetry (bzw. „Tiraden-Lyrik“, A.d.Ü.) handelt es sich um politische Gedichte der Arbeiterklasse, in denen wirtschaftliche, soziale und ethnische Ungleichheiten angeprangert werden. Diese Literaturform entstand in den 1980er-Jahren als Reaktion auf die Politik der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher (auch wenn natürlich eine jahrhundertealte Tradition einer kritischen, gegen das Establishment gerichteten Dichtkunst existiert). Dabei haben wir mit vielen LyrikerInnen aus den 1980ern zusammengearbeitet, deren Namen zum Teil schon fast vergessen waren, aber auch mit jüngeren Autorinnen und Autoren, deren Texte diesem Genre zuzuordnen sind. Die von uns organisierten Veranstaltungen fanden dabei an verschiedensten Orten und in ganz unterschiedlichem Rahmen statt – in Pubs, auf Festivals, bei Spoken-Word-Abenden und sogar in der British Library! Die Lesungen fanden großen Anklang, was auch daran liegen mag, dass sie im aktuellen politischen Klima den Nerv des britischen Publikums getroffen haben.

Julia Shimura: Verstehe. Wir von CROWD sprechen in diesem Zusammenhang gern von „literarischem Aktivismus“. Gehe ich richtig in der Annahme, dass dir dieses Thema ebenfalls wichtig ist?

Sharmilla Beezmohun: Auf jeden Fall! Es ist zentral für alles, was wir tun.

Julia Shimura: Haha, gut. Als nächstes wollte ich mit dir über eine Veranstaltungsreihe sprechen, die Speaking Volumes im April dieses Jahres ins Leben gerufen hat und die den vollmundigen Titel trägt: „Writers of the World Unite! – A Festival of Literature and Social Change“.  („Schriftsteller aller Länder, vereinigt euch! – Ein Festival für Literatur und sozialen Wandel“). Im Rahmen dieser Reihe gab es unterschiedliche Events etwa zu karibischer Literatur, aber auch zu russischer (zeitgenössischer und revolutionärer) Literatur. Wie hast du diese Veranstaltung erlebt, war es eine positive Erfahrung?

Sharmilla Beezmohun: Die Idee zum Writers of the World Unite Festival stammte von Mark Banting, der für die Buchhandlung Waterstones Veranstaltungen konzipiert. Er kam auf uns zu und bat uns, das Festival gemeinsam mit Little Atoms (einem unabhängigen Kunstverein, der sich den Themen Rationalismus und freiheitliches Denken widmet) auszurichten; Ausgangspunkt war der 100. Jahrestag der Russischen Revolution und die Idee von „Revolution“ allgemein. Jeder von uns kuratierte dabei 3 bis 4 Veranstaltungen als Teil des gesamten Festivals. Für uns von Speaking Volumes hieß das, dass wir uns vielseitig und kreativ ausleben durften – so widmeten wir uns etwa der Geschichte der karibischen Literatur, im Rahmen einer Veranstaltung, an der unter anderem Mervyn Morris, der damalige Poet Laureate Jamaikas, teilnahm, oder brachten junge, vielversprechende LyrikerInnen dazu, Besuchern der Buchhandlung ihre Gedichte vorzutragen. Außerdem konzipierten wir eine Veranstaltung zu Graphic Novels und kuratierten einen „Cabaret-Abend“ mit Musik, Comedy und Literatur. Es hat viel Spaß gemacht, „unseren“ Autorinnen und Autoren zu lauschen, aber es war auch schön, die von unseren Partnern kuratierten Veranstaltungen zu erleben, die ebenfalls eine ganze Bandbreite von Themen abdeckten, vom Feminismus bis hin zu russischer Lyrik. Als positiv habe ich es außerdem empfunden, mit verschiedenen Partnern zusammenzuarbeiten, die ihre jeweiligen Kompetenzen eingebracht haben, um eine Veranstaltungsreihe zu konzipieren, die es in London in dieser Form noch nie gegeben hat.

Julia Shimura: Eine andere politische Frage, die derzeit relevant ist: Was denkt ihr als politisch interessierte Veranstalter über den Brexit? Spielt er für eure Arbeit eine Rolle?

Sharmilla Beezmohun: Der Brexit spielt für unsere Arbeit eine große Rolle, wie alle Entwicklungen, die zu gesellschaftlichen Spaltungen führen und potenziell Hass und Intoleranz schüren – wir arbeiten aktiv daran, Grenzen zu überwinden und jeglicher Ideologie, die ein solches Denken bestärkt, entgegenzuwirken. Vor dem Brexit wurde in einer Reihe von offiziellen Studien und Untersuchungen aufgezeigt, dass innerhalb des britischen Verlagswesens Ungleichheit und mangelnde Vielfalt (in Bezug auf Klasse, Gender und ethnische Herkunft) herrscht – Themen, die viele von uns, die in der Branche tätig sind, seit Jahren anprangern. Mit unserer Arbeit verfolgen wir ein zweifaches Ziel: Zum einen geht es uns darum, die Einstellungen innerhalb der Branche zu hinterfragen und zu verändern, zum anderen geht es uns aber auch um die Gesellschaft als Ganzes.

Was Europa angeht, sind wir der Meinung, dass wir die Ungleichheiten und die Intoleranz, die durch den Brexit entstehen, durch stärkere Partnerschaften auf dem gesamten Kontinent überwinden können. Diese Idee steht im Zentrum unseres Projekts Breaking Ground, das der Arts Council England noch vor dem Brexit-Votum gefördert hat, das aktuell jedoch relevanter denn je erscheint. Im Rahmen dieses Projekts werden wir Finnland, Spanien, Portugal, Litauen und auch Deutschland besuchen, um dort Netzwerke für britische nicht-weiße Autorinnen und Autoren aufzubauen sowie neue Leserkreise zu erschließen – und natürlich hoffen wir, dass sich im Ergebnis auch bleibende Freundschaften ergeben und Türen öffnen werden.

Julia Shimura: Gerne möchte ich dich noch zu euren Plänen für die im November in Berlin stattfindende Veranstaltung befragen. Ihr habt ja ein tolles Programm zusammengestellt, wie ich finde, mit äußerst renommierten AutorInnen: die chinesische Schriftstellerin Xiaolu Guo, die in Malaysia geborene „Queen of Performance Poetry“ Francesca Beard, der Lyriker Rishi Dastidar sowie der Künstler und Lyriker Caleb Femi, der bereits Auftragsdichtung für die Tate Modern geschrieben hat – wow. Wie kam es zu der Auswahl dieser vier Künstlerinnen und Künstler?

Sharmilla Beezmohun: Danke erst einmal für das Kompliment! Es freut mich zu hören, dass unsere AutorInnen bereits mit Spannung erwartet werden. Wir wollten die Veranstaltung in der Lettrétage so vielseitig wie möglich gestalten, um zu zeigen, dass das Vereinigte Königreich, anders als es das von vielen Brexit-Befürwortern propagierte Bild Großbritanniens vermuten lässt, eine tolerante und multikulturelle Gesellschaft ist, die ein enormes Maß an Kreativität hervorbringt. Außerdem kennen wir die AutorInnen bereits von früheren Veranstaltungen, wissen also, dass sie spannende und zum Nachdenken anregende Performances inszenieren können, die über das übliche Format von Lesungen weit hinausgehen und damit sehr gut zum im Herbst stattfindenden Con_Text-Programm der Lettrétage passen. Es ist wirklich toll, rund um dieses Thema kreativ arbeiten zu können.

Neben den Live-Auftritten der vier SchriftstellerInnen, die sich alle in wichtigen Phasen ihrer Karriere befinden, wollen wir Kurzfilme weiterer britischer nicht-weißer AutorInnen zeigen, um dem Abend abzurunden … macht euch also auf etwas gefasst!


Speaking Volumes wurde im Mai 2010 von Sharmilla Beezmohun und Sarah Sanders gegründet, nachdem beide zuvor für den PEN International tätig gewesen waren.

Als literarisches Veranstaltungsteam des PEN haben sie Veranstaltungen in acht Ländern entwickelt, kuratiert und produziert, darunter Jamaika, Mexiko, Österreich und die VAE. Zudem organisierten sie das „Free the Word“-Festival, das im Shakespeare’s Globe, im Southbank Centre sowie im Free Word Centre stattfand. Der internationale kuratorische Ansatz geht mit zahlreichen Kooperationen einher, unter anderem mit Bloomberg, dem Kulturprogramm der EU, dem Prince Claus Fund, Icorn, dem Emirates Literature Festival und vielen mehr.

Sharmilla Beezmohun arbeitet seit 1994 im Verlagswesen und war unter anderem für Virago, für die Heinemann’s African and Caribbean Writers Series, Thomas Telford Publishers und das George Padmore Institute tätig. Seit 2005 fungiert sie als stellvertretende Chefredakteurin des Wasafiri Magazine. Im Jahr 2010 wurde ihr erster Roman, Echoes of a Green Land, unter dem Titel Ecos de la Tierra Verde in spanischer Übersetzung publiziert.