Highlights am Mehringdamm Teil II: „SOUNDOUT! New Ways of Presenting Literature“ 2014

„Poetic Texts listening space“ – Performance im Rahmen von „SOUNDOUT“. Foto: Tom Bresemann

Ein besonderes Highlight der vergangenen Jahre am Mehringdamm war unser Literaturfestival „SOUNDOUT!“, bei dem wir vom 24.05. bis zum 01.06. 2014 Künstler*innen aus ganz Europa bei uns willkommen heißen konnten. Was SOUNDOUT für uns im Nachhinein so besonders machte, ist die Tatsache, dass es das erste Festival dieser Größenordnung war, das von der Lettrétage selbst auf die Beine gestellt wurde. Gleichzeitig machten wir damit einen ersten großen Schritt voran in eine neue Welt literarischer Veranstaltungen.

Unter dem Motto „New Ways of Presenting Literature“ wurde an, auf, unter und neben der Bühne, auf der Straße, in einem türkischen Supermarkt, im Schwimmbad oder auf dem Tempelhofer Feld mit neuen Präsentationsformen von Texten – abseits der klassischen Wasserglaslesung – experimentiert. Diese Herangehensweise an Literatur, der damals in Deutschland noch kaum eine Plattform geboten wurde, brachte neben vielen spannenden und z.T. skurrilen Performances auch einige Herausforderungen mit sich, wie sich Moritz Malsch und Tom Bresemann – die das Projekt damals hauptsächlich leiteten – erinnern: Neben der Tatsache, dass die beiden – und zahlreiche Helfer*innen – das Festival neben dem alltäglichen Lettrétage-Betrieb organisieren mussten, brachten die innovativen Projekte ihre eigenen technischen und künstlerischen Herausforderungen mit sich, die oft erst kurz vor der Veranstaltung gelöst werden konnten.

Ein gutes Beispiel für die skurrile Kreativität der Teilnehmer*innen ist das Projekt „Subject Index“ des schottischen Dichters Iain Morrison. Er stellte sich fünf Tage in einen eingezäunten Bereich in der U-Bahnstation Mehringdamm um dort in einem weißen Kleid sämtliche (!) Gedichte von Emily Dickinson zu lesen, was ihm schließlich auch gelang. Auch für diese Idee war künstlerische Flexibilität gefragt, als der ursprüngliche Plan, die Lautsprecheranlage der BVG zu nutzen, nicht umgesetzt werden konnte. Eine für alle Beteiligten „seltsame“ Erfahrung war auch „Hop on Zero! Free Berlin Tour + Poetry“, für das der griechische Künstler Iordanis Papadopoulos extra einen Bus für Stadtrundfahrten anmietete. Seine Performance beinhaltete tatsächlich eine Fahrt zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt, inklusive der Erklärungen eines Tourist Guides. Diese vermischten sich allerdings mit den poetischen Einschüben von Iordanis, was zunächst auch für Verwirrung bei den Besuchern der Rundfahrt sorgte. Das unbedarfte Herangehen an die Präsentation von Literatur zeigt sich auch in der Performance „Do you believe in Poems?“ von Ernesto Estrella. Mit Hilfe eines Ouija-boards zur Beschwörung von Geistern wurde im Flutgraben Kontakt mit der antiken Dichterin Sappho von Lesbos aufgenommen, um ihr ein paar Fragen zu stellen und sie dazu zu bringen, ein neues Gedicht für SOUNDOUT beizusteuern. Estrella gab uns mit dieser Arbeit u. a. eine neue Perspektive auf das Format des Autorengesprächs.

Iain Morrison liest am U-Bahnhof Mehrigdamm alle (!) Gedichte von Emily Dickinson. Foto: © Tom Bresemann

Das gesamte Teilnehmerfeld der Woche war äußerst international: 65 Teilnehmer*innen aus 19 Ländern präsentierten bei uns insgesamt 20 innovative Literaturprojekte. Eine international besetzte Jury hatte am Ende der neun Tage die Qual der Wahl, zwei Gewinnerprojekte auszuwählen, die den extra ausgerufenen SOUNDOUT!-Award erhalten sollten. Am meisten überzeugten schließlich die beiden Performances „KM.0“ (Christian Forte/ Erica Zingano/ Luisa Nobrega/ Nacho Buk) und „Poetry is just words in the wrong order“ (Jazra Khaleed/ Timos Alexandropoulos/ Antonios Kalagkatsis). Letzteres – eine Kombination antiker Texte mit digitalen und performativen Elementen – kann bis heute als gelungenes Beispiel für digitale Literatur und die Ausnutzung von Literatur als Livesituation herangezogen werden.

SOUNDOUT war rückblickend ein großer Impuls in die Literaturszene, sich weiter mit experimentellen Zugriffen auf Literatur zu beschäftigen. Die Ideen für Leseformate abseits der Wasserglaslesung waren aber schon lange in der freien Szene vorhanden, wie die große Resonanz auf den internationalen Open Call zu Beginn des Projektes zeigten. Deshalb sind wir auch stolz, einen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass heute Themen wie Transdisziplinarität, Digitalität und Literatur im öffentlichen Raum eine größere Bühne im Literaturbetrieb erhalten.

Der „Swimming Pool of Poetry“ Foto: © Ulrike Techert

Abgesehen von den Veranstaltungen ist Tom und Moritz v. a. die besondere Atmosphäre der Woche im Gedächtnis geblieben. Diese konnte entstehen, weil alle Teilnehmer*innen die gesamte Zeit des Festivals über vor Ort blieben und nicht nach ihren Performances wieder verschwanden. So entstand in der Lettrétage ein internationales Arbeitsklima, bei dem sich alle einbringen und auf Augenhöhe begegnen konnten. Die Überwindung der Herausforderungen, die sich aus diesem für alle neuen Projekt ergaben, hinterließ bei unserem Team auch bei jeder Veranstaltung ein Gefühl der Glückseligkeit. Dazu gingen aus SOUNDOUT Kontakte und Freundschaften hervor, die bis heute in privatem und beruflichem Austausch gepflegt werden.

Die Performance „Grauwert“ von Jörg Piringer. Foto: Ulrike Techert