Giovanni Nadiani „aNmarcurd – Ich erinnere mich nicht“

Posthum erschien im Drey-Verlag ein zweisprachiger Gedichtband des italienienischen Schriftstellers Giovanni Nadiani. Am 22. Februar um 20 Uhr lesen in der Lettrétage aus der deutschen Übersetzung und diskutieren Tom Bresemann, Linde Nadiani und die Übersetzerin Elsbeth Gut Bozzetti.

Wir haben der Übersetzerin Elsbeth Gut Bozzetti vorab ein paar Fragen gestellt

L.: In ihrem Vorwort von Giovanni Nadianis Gedichtband „aNmarcurd“ sprechen sie davon, dass Übersetzen mit Intimität und Vertrauen zu tun hat. Vor welchen Herausforderungen standen Sie während der Übersetzung?

G.B.: Mit der Übersetzung von aNmarcurd hat es eine ganz eigene Bewandtnis: das erste Gedicht habe ich übersetzt als unmittelbare Antwort auf die Resignation und die negative Lebensbilanz, die in vielen Texten des Zyklus Nó überwiegt. Ich wollte die Begriffe invél und  incion widerlegen und Giovanni in seinem Pessimismus widersprechen. Übersetzend bin ich mit dem Gedicht-Ich in Dialog getreten um Giovanni zu sagen: es stimmt nicht, dass niemand deine Wörter  versteht, dass deine Stimme sich im nirgends verliert. Diese ersten Übersetzungen waren als eine Art Flaschenpost nur für Giovanni bestimmt, nur an ihn gerichtet. Es war meine Art, ihm zu vermitteln: deine Gedichte und Gedanken leben weiter, werden weiterhin Hörer finden und zu Menschen sprechen. Seine Gedichte übersetzen, d.h. sie ernst zu nehmen, war für mich die authentischste Art und die mir einzig mögliche, um Giovanni auf seinem letzten Stück Weg zu begleiten.


L.:
War das Übersetzen gleichzeitig auch eine wichtige Art der Kommunikation mit einem Freund für Sie?

G.B.: Die Schonungslosigkeit der Lebensbilanz, die harten Wahrheiten, die fast mit dem letzten Atem im Zyklus Nó hervorgestossen werden, das hat mich mit voller Wucht getroffen. Das Besondere war, dass  irgendwie alles gleichzeitig und in Echtzeit geschah – Giovannis Sprechen/Schreiben, sein Sterben, das übersetzend mit ihm Sprechen.

Unsere Gedichte-Korrespondenz via E-mail hat im Januar 2016 begonnen und mit Giovannis Tod im Juli geendet. Die Idee, bzw. der Wunsch, das gesamte Buch ANmarcurd auf Deutsch herauszubringen, kam von Giovanni selbst. Er hat die Übersetzungen an Freunde in Deutschland weitergeleitet, der Drey-Verlag hat Anfang Juni sein Einverständnis zur Publikation gegeben. Daraufhin hat Giovanni den ursprünglichen Band  noch um insgesamt vierzehn Gedichte erweitert, wovon sechs noch unveröffentlicht waren. Diese deutsche Ausgabe seiner Gedichte war sein letztes Projekt, an dem ihm sehr viel gelegen war. Ich hatte die Empfindung, dass damit ein geheimer Wunsch in Erfüllung gegangen ist.


L.:
Wie sind Sie mit dem Schmerz, der in den Texten von Nadiani steckt als Freundin und Übersetzerin umgegangen?

G.B.: Ich habe diese Texte in einer Haltung der Sammlung und Stille wieder und wieder gelesen und bedacht, habe mich ihnen widerstandslos – und schutzlos – überlassen. Größtmögliche Nähe zum Ausgangstext und größtmögliche Verlorenheit, weil Sprachlosigkeit, sind aufeinander getroffen. In dieser Konzentration ist eine ganz unsentimentale Intensität des Verstehens und der Nähe (zu den Texten und ihrem Autor) entstanden, eine innere Energie, die sich auch auf Giovanni übertragen hat. Der Umgang mit dem Schmerz war eine sehr subtile innere Arbeit: ich habe den Schmerz auf mich genommen, ihn mitgetragen, zu dem meinen gemacht.

L.: Kann man sagen, dass Giovanni Nadiani gegen eine Angst anschreibt, die Sprache zu verlieren?

G.B.: Es geht hier glaube ich nicht um einen Sprachverlust, wie ihn Hoffmansthals Lord Chandos erlebt hat. Eher um den Verlust einer Lebenswelt, der Lebensweise der herkömmlichen ländlich- bäuerlichen Kultur der Romagna, der Lebenswelt der Eltern- und Grosselterngeneration. Giovanni macht deutlich, macht spür- und hörbar, was verloren geht. Gleichzeitig ist er unter den Dichtern der Romagna derjenige, der die Hybridisierung der Sprache und des Dialekts mit den Versatzstücken unserer globalisierten digitalisierten Konsumwelt auf gewohnt sarkastische Weise kritisch unter die Lupe nimmt, ironisiert, die Leere und Lächerlichkeit unserer vermeintlichen Modernität kenntlich macht. Giovanni ist ein moderner Dichter, der die Verwerfungen des gesellschaftlichen, politischen und privaten Lebens mittels Sprache thematisiert. Nichts liegt ihm ferner als konservativer Mundartfanatismus und Heimattümelei.

L.: Inwiefern sind die Gedichte durchzogen von einem Bestreben, nachvollziehbar zu bleiben, bzw Romagnolisch am Leben zu erhalten?

G.B.: Es ist ein schwieriger Balanceakt, einerseits eine Minderheitensprache, die ein Dialekt im Grunde ja ist, zu gebrauchen und gleichzeitig allgemein verständlich zu bleiben. Giovanni hat dieses Dilemma dadurch gelöst, dass er seine Texte selbst performt und dadurch ihr ironisches, subversives, systemkritisches und gleichzeitig sprachschöpferisch-poetisches Potential zu voller Geltung gebracht hat.

L.: Wie gehen Sie als Übersetzerin mit der Unmöglichkeit um, bestimmte Worte, Metaphern, Gefühle eins zu eins übersetzen zu können. Welche Lücken und Brüche entstehen dort, wenn es um erlebte Erinnerungen geht und welche Möglichkeiten tun sich auf?

G.B.: In einem Dialekt zu schreiben empfinde ich immer wieder als Widerspruch. Dialekt ist seinem Wesen nach gesprochene Sprache, er lebt und atmet im Sprechen, in der schnellen Wechselrede, der Situationskomik, dem schlagfertigen Wortwitz etc. Dialekt ist ortsgebunden, partikularistisch, kleinteilig, treffsicher. Aber er kann auch miefig, engstirnig, erzkonservativ sein. Eigentlich kann ihn nur ein Angehöriger desselben Dorfes, zumindest aber Sprachgemeinschaft wirklich verstehen, in allen subtilen Bedeutungsnuancen.

L.: Kann man Dialekt also überhaupt übersetzen?

G.B.: Übersetzung von Dialekt darf auf keinen Fall zur Karikatur werden. Man geht da auf einem sehr schmalen Grat und braucht ein sehr feines Gehör und Sprachgefühl, in der Ausgangs- und in der Zielsprache. Ich betrachte den Dialekt eher als eigenständige, vollwertige Sprache, weniger als Variante einer Hochsprache. Dabei steht der Aspekt der Oralität natürlich im Vordergrund, d.h. ich versuche das Mündliche, den Sprechcharakter dieses Textes zu übersetzen. Bei den Gedichten von Guerra oder Baldini habe ich immer in mich hineingehört und mich gefragt: wie hätte meine alemannische Großmutter das gesagt? Bei den Texten von Giovanni war das nicht der Fall: er ist mein Zeitgenosse, sein Sprechen ist, auch im Dialekt, das unserer Zeit. Hier kam es eher darauf an, die Situationen richtig zu deuten, das unausgesprochen Mitgemeinte, die Konnotate, die sich aus der landestypischen Situation ergeben und ableiten lassen, hinüberzutragen, begreiflich zu machen.

L.: Das bedeutet, es gibt kein exaktes „Richtig“ oder „Falsch“. Ist es schwierig, zufrieden zu sein mit der endgültigen Übersetzung?

G.B.: Ich bin nicht immer ganz zufrieden mit dem Ergebnis, aber wenn die Texte in sich stimmig und in der Aussage verständlich sind – und sich darüber hinaus noch ein poetischer Mehrwert in Form von Rhythmus, Lautgestalt, Wortwahl einstellt, dann sag ich mir manchmal heimlich: das soll mir erst einmal einer nachmachen. Dem Minderwertigkeitskomplex der Übersetzer – die ja meist Frauen sind – möchte ich jedenfalls keinen Vorschub mehr leisten.

Elsbeth Gut Bozzetti ist 1954 in Donaueschingen geboren und aufgewachsen. Studierte in Freiburg Germanistik und Pädagogik, darauf in Urbino Romanistik und Kunstgeschichte. Universitätslektorin für Deutsch als Fremdsprache an der Università degli Studi di Urbino »Carlo Bo die Urbino«. Sie übersetzte alle bislang bei Klöpfer & Meyer erschienenen Tonino-Guerra-Bücher. Zahlreiche Beiträge zum italienischen Kulturgeschehen im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung. (Quelle: Klöpfer & Meyer)

 

Interview: Julia L. Orso