Gazino Berlin

(c) Verena Eidel

Die Lettrétage ist Kooperationspartner eines spannenden Projekts des Heimathafens Neukölln: Gazino Berlin kommt am 26. September zum ersten Mal auf die Bühne. Die zweiteilige szenisch-musikalische Zeitreise zwischen Bosporus und Spree wird dann am 9. Oktober fortgeführt. Entlang der Lieder vergangener Zeiten entspinnt sich die Geschichte einer ungewöhnlichen jungen Frau aus der Türkei der fünfziger Jahre bis ins heutige Berlin.

Eine szenisch-musikalische Zeitreise zwischen Bosporus und Spree – in zwei Teilen.

Gazino Berlin bringt in zwei Teilen erstmalig die große Migrations- und Berlin-Istanbul Trilogie „Sonne auf halbem Weg“ von Emine Sevgi Özdamar zur Aufführung und lädt das Publikum ein, sich gemeinsam auf die Zeitreise durch die Jahrzehnte vor und nach dem Anwerbeabkommen zu begeben. Gökşen Güntel und ihr Ensemble kreieren dazu mit der vierköpfigen Band um Turgay Ayaydınlı und Aziza A. im großen Saal des Heimathafen Neukölln ein zeitgemäßes glamouröses Gazino*, lassen klassische türkische Musik auf die damals zeitgenössische Popmusik treffen und schlagen immer wieder einen Bogen ins Heute. Bei Raki, Wein und Bier werden nicht nur die größten, absurdesten, traurigsten oder komischsten Momente der vergangenen Zeiten erlebbar – auch Gazino-Stars von damals wie Zeki Müren leben noch einmal auf der Bühne auf. Entlang der Lieder vergangener Zeiten entspinnt sich die Geschichte einer ungewöhnlichen jungen Frau aus der Türkei der fünfziger Jahre bis ins heutige Berlin. Ein Lebensweg zwischen den Kulturen, zwischen Bosporus und Spree – immer auf der Suche, immer auf halbem Weg.

„Ich stieg in den Zug nach Deutschland ein, auch viele andere Frauen stiegen ein. Es gab nur einen einzigen Mann, der einstieg, es war der Zugleiter. Er verteilte an uns einen Plastikkrug mit Wasser, ein Paket Essen, 112 DM, die ein Teil unseres Monatslohns waren und ein Buch. Das Buch hieß: Handbuch für die Arbeiter, die in der Fremde arbeiten gehen.“

Wir durchleben im ersten Teil ihre Kindheit und Jugend in der noch jungen türkischen Republik zwischen ökonomischen Nöten, Aberglaube und Aufbruch und folgen ihrer Reise im zweiten Teil als Gastarbeiterin in Berlin bis zu ihrem politischen und sexuellen Erwachen. Jeder der beiden Teile nimmt jeweils eine andere Dekade und deren Lieder in den Blick. Aus den Erfahrungen der ersten Generation entsteht so eine Erinnerung und Gegenwartsbefragung, indem sich das Ensemble pro Teil mehr und mehr selbst in die Geschichte mit hineinschreibt, kommentiert und Erinnerungen der eigenen Elterngeneration einfügt. Durch die Retrospektive versucht Gazino Berlin zu verstehen, was uns die Vergangenheit über unsere Gegenwart und vielleicht sogar unsere Zukunft verrät. Anhand der Romane von Özdamar wirft Gazino Berlin einen Blick auf die türkischen Jahrzehnte bereits vor dem Anwerbeabkommen mit der Türkei und bringt diese Erfahrungen mit den Erlebnissen der ersten Einwanderergeneration in Deutschland in Verbindung – so wird die deutsch-türkische Geschichte um weiteres, wichtiges Kapitel ergänzt. Durch die eigene Positionierung des Ensembles zur Geschichte und den Ereignissen von damals wird die künstlerische Vielfalt der deutsch-türkischen Berliner Community von heute portraitiert und dem aktuellen Rechtsruck und der Debatte um Integration eine differenzierte Auseinandersetzung und selbstbewusste Haltung entgegengesetzt. So wie jeder der beiden Romanteile bei Özdamar eine sehr unterschiedliche Sprache und Stilistik gefunden hat, spielt auch auf der Bühne jeder Teil mit einer eigenständigen Form für die jeweilige Wegstrecke unserer Protagonistin: während im ersten Teil die SchauspielSzenen und Musik interdisziplinär mit Live-Kamera und Video verwoben werden, sucht der zweite Teil eine abstraktere Form über das Wechsel von gelesenen Romanpassagen und den Liedern.

*Gazinos, das sind Nachtclubs mit Livemusik und Restaurantbetrieb. In der Türkei gibt es davon viele – die großen, bekannten aus den »goldenen Zeiten«, und die weniger angesehenen, versteckt in engen, dunklen Gassen. Auch in Berlin gab es Gazinos – doch heute ist diese Tradition so gut wie ausgestorben.

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