Die Lettrétage im September

Während die Strände und Badeseen sich langsam leeren, startet die Lettrétage mit randvollem Programm in den Herbst: Neben Performances, Lesungen, Buch- und Magazinvorstellungen, melden wir uns zusätzlich mit alten wie neuen Diskussions- und Gesprächsrunden aus der Sommerpause zurück – Berlin, wir freuen uns auf Deine freie Literaturszene!

Von Geflüchteten, Eingewanderten und Heldenmütigen auf Zypern erzählt Maria Tziaouri-Hilmer in ihrem Debütband LINIE ZWISCHEN UNS. Der Band, der auf der Shortlist des zyprischen Staatspreises für Literatur 2020 stand, widmet sich Wunden und Verlusten, persönlichen und gesellschaftlichen Schicksalen und eröffnet damit einen Dialog über sichtbare und unsichtbare (Trennungs-)Linien. In einundzwanzig mal kurzen, mal langen Prosatexten stellt er verschiedene Charaktere vor, die eines gemeinsam haben: Ihre Geschichten werden bestimmt durch die Teilung der Insel Zyperns nach der türkischen Invasion von 1974. Am 2. September wird die Autorin aus ihren Texten lesen und anschließend über sie mit Elena Pallantza sprechen, die gemeinsam mit der Gruppe LEXIS einige ihrer Kurzgeschichten ins Deutsche übersetzt hat.

Am 6. September meldet sich KOOKread – Erzählen, was auf uns zukam – Sounds und Texte aus zwei Jahren Corona zurück. Anne-Dore Krohn, Literaturredakteurin beim Kulturradio des rbb, spricht mit dem Autor Juan S. Guse, der Autorin Yade Yasmin Önder und der Musikerin Jana Sotzko aka Point no Point über: Romane – Große Form zu großen Krisen? Das Quartett wird diskutieren, welche Möglichkeiten diese Gattung mit ihrer langen und ausdauernden Form einer Gesellschaft bietet, in der alles schnell und aktuell sein muss, und welche Impulse sie dabei für Gegenwart und Zukunft setzen kann. Und es wird, na klar, auch aus aktuellen Texten gelesen und der eine oder andere Pop-Song gespielt.

Auf Lesung und Gespräch folgt am 8. September eine Buchpräsentation, die sich mehrerer vorhergehender Gespräche verdankt: Die israelische Künstlerin Ronny Aviram und die österreichische Autorin Christina Maria Landerl führen mit ihrem Foto-Text-Band TELAVIVIENNA. VOM HEIMKOMMEN durch die Städte Tel Aviv und Wien und berichten anschließend vom Entstehungsprozess des Buches – von zahlreichen Versuchen, ein bestimmtes Gefühl für einen bestimmten Ort künstlerisch festzuhalten. Die beiden Künstlerinnen, die sich zufällig in Berlin kennenlernten, arbeiteten an diesem Projekt nicht nur gemeinsam, sondern vor allem füreinander, um sich die eigene Heimat vorzustellen und damit zu zeigen: Menschen machen Orte, indem sie diese unterschiedlich wahrnehmen: „I thought it was like somebody taking you by the hand and showing you the city from inside – this really intimate feeling of somewhere else. This is what literature can do.“ (Ronny Aviram bei Literaturdialoge)

Gefühl und Intimität stehen ebenso am darauffolgenden Tag im Rampenlicht, diesmal jedoch auch mit ihren Schattenseiten: HATER & LOVER – ANALOG & DIGITAL: ANALOGE UND DIGITALE LIEBE/FREUNDSCHAFT/GEWALT, MISOGYNIE ist das Thema der dritten Ausgabe von Isobel MarkusBERLINER SALONAGE FRAUENART – BACK, NOW & THEN. Die Künstler*innen Sarah Berger, Anna Hetzer & Katja Hoffmann, Nora Linnemann, Susanne Schirdewahn und Nathalie Claude lesen am 9. September nicht nur aus Texten, sondern zeigen auch Illustrationen und Skulpturen, die sich mit der Frage beschäftigen, welchen Veränderungen Konzepte von Liebe und Freundschaft in digitalen Zeiten unterworfen sind. Dabei gehen sie auch darauf ein, was eine offene Gesellschaft tun kann, um digitaler und analoger Diskriminierung, Gewalt und Misogynie entgegenzuwirken. Neben der Lesung lädt der Abend das Publikum zudem zu gemeinsamen Reflexions- und Diskussionsrunden ein.

Nach einer typischen Salonage folgt die Vorstellung eines untypischen Magazins: Zarte Horizontale stellt sich – nach dem Auftakt in München – beim TREFFEN IM ZWISCHENRAUM II am 10. September nun auch in Berlin vor. Die Autor*innen des Online-Literaturmagazins lesen aus ihren ebendort erschienenen Werken und werden dabei von einer fotografischen Ausstellung begleitet, die sowohl die veröffentlichten Texte visualisiert, als auch den Herstellungsprozess des Magazins dokumentiert, denn: „Schreiben ist, wie das Denken auch, abhängig von den Räumen, in denen es geschieht. Es wird von ihnen geformt, gerahmt, und manchmal lässt es sich nicht genau verorten.“ (Zarte Horizontale)

Am 11. September gibt der vauvau-verlag für interaktive lyrik Einblicke in den dritten Teil seiner 2017 ins Leben gerufenen Anthologie-Reihe POING IN WORT UND BILD. Nach STADT und ZUKUNFT beschäftigt sie sich in dieser Ausgabe mit dem ECHO in seinen unterschiedlichen Bedeutungen – als akustischem Phänomen, als antikem Mythos und/oder auch als künstlerische Herausforderung. Im Widerspruch zum Konzept einer Anthologie, sich in Wort und Bild dialogisch zu begegnen, wirft der ECHO all das zurück, was gefragt und gesagt wird, und verweigert damit den Dialog. Wie das funktioniert und ob sich nicht doch ein Dialog in der Gemeinschaftsarbeit der Autor- und Künstler*innen entspinnt, kann an diesem Abend ergründet werden.

Nach dem Dialog ist vor dem Dialog: In der mittlerweile 11. Auflage von LET’S TALK ABOUT CLASS am 14. September diskutieren Felicia Ewert, Frede Macioszek und das Trans*, Inter*, Queer Community & Health Center Casa Kuà darüber, inwieweit Transition eine Klassenfrage ist. Ausgangspunkt des Abends ist die These von einem „klassistischen, rassistischen und queerfeindlichen Gesundheitssystem“. Wie sieht aus diesem Blickwinkel die Versorgung von trans*, inter*, nichtbinären* und queeren* Personen aus? Inwiefern spielen Klassenunterschiede bei sozialen und bürokratischen Schwierigkeiten eine Rolle? Kuratiert von Charlotte Milsch und Biba Nass und moderiert von Methu Thavarasa (Political educator/space holder) und abermals Biba Nass, versucht LET´S TALK ABOUT CLASS #11: Klassenfrage Transition diese und viele andere Fragen zu beantworten.

Der 16. September steht im Zeichen der Zensur: Reinhard Kuhnert erzählt in dem – von seiner eigenen Biografie inspirierten – Roman ABGANG IST ALLERWÄRTS die Geschichte eines angesehenen jungen Theaterautors, der aus dem Großstadttrubel Ostberlins in ein Mecklenburgisches Dorf flüchtet. Entgegen seines ursprünglichen Vorhabens, sich dort in aller Ruhe seiner Arbeit zu widmen, wird er schnell Teil der ansässigen Dorfgemeinschaft, sodass sein Rückzugsort bald zur Heimat wird. Sein geordnetes Leben findet jedoch ein jähes Ende: Als er sich für einen in Ungnade gefallenen Künstler einsetzt, fallen er und seine Kunst selbst der Zensur zum Opfer, bis von beidem fast nichts mehr übrig bleibt. Schweren Herzens entschließt er sich, eine Ausreise aus der DDR zu beantragen und damit auch, sein Refugium zurückzulassen… Die dazu passende musikalische Begleitung steuert Reinhard Kuhnert, begleitet von Erik Kross, selbst bei

Am 23. September treffen sich, moderiert von Aylin Ünal, Eva Brunner, Elke Cremer, Alexander Graeff und Lena Tietgen, um die Zerschreibung des Patriarchats voranzutreiben. »sieh nur wie unsere zähne sich gleichen« führt unterschiedliche Texte mit demselben Ziel zusammen: In prosaischen und lyrischen Annäherungen erforschen sie u. a. verschiedene Perspektiven auf die kulturell überformten Emotionen cisheterosexueller Männer, auf Donna Harraways tentakuläres Denken, auf Fruchtbarkeitsmotive und Momente weiblichen Begehrens und auch auf (Liebes-)Begegnungen außerhalb herkömmlicher Muster. Wer möchte, kann sich dazu vorher Der queere Blick: Tentakel ausbilden von Alexander Graeff anschauen, mit dem er sich dem Begriff der Queerness und seinen theoretischen wie praktischen Bedeutungen nähert.

Treue Gäste der Lettrétage wissen, dass Soul and the City in einer Monatsübersicht nicht fehlen darf – und so lässt sich LOVE, SWEAT AND LAUGHTER auch nicht lange um eine Autumn Edition bitten. Wie gewohnt fährt das Kollektiv am 25. September ein vielfältiges Programm an Bühnenacts auf. Sie verbinden nicht nur Comedy, Musik, Performance, Storytelling und Text, sondern bringen auch unterschiedliche künstlerische Ansätze und kulturelle Hintergründe zusammen – und sorgen so vor allem für reichlich Party.

Mit einer letzten Veranstaltung verabschieden wir uns dann am 28. September mit dem zwölften Teil der Diskussionsreihe LET’S TALK ABOUT CLASS von diesem vollen Monat. Bei LET’S TALK ABOUT CLASS #12: Ostdeutsche Klassenerzählungen gehen Autorin Katja Oskamp (DIE OSTFRAU), Kulturanthropolog*in, Antidiskriminierungstrainer*in und Autor*in Francis Seeck (ZUGANG VERWEHRT) sowie Autorin Angelika Nguyen (MUTTER, WIE WEIT IST VIETNAM?) den bis heute noch existierenden Unterschieden zwischen Ost- und Westdeutschen nach und versuchen zu klären, warum selbst nach 30 Jahren Deutscher Einheit sich viele Ostdeutsche noch als zweitklassig fühlen und ob diese Klassismuserfahrungen von allgemeiner Gültigkeit sein können. Moderiert und konzipiert von Paula Fürstenberg und Katharina Warda.