
In der ersten Maiwoche ist es in der Veteranenstraße ungewöhnlich still. Aber nach der Ruhe folgt bekanntlich der Sturm – bzw. der Siebte Branchentreff Literatur, der vom 5. bis 7. Mai im Podewil (Klosterstraße 68d, 10179 Berlin) stattfindet. Unter dem Motto „Ich bin wertvoll! Auf dem Weg zu einer selbstfürsorglichen und solidarischen Arbeitsweise“ bietet der Branchentreff neben einem neuen Format, dem Barcamp, Vorträge, Workshops und Diskussionsrunden zu Themen, die für Soloselbstständige hilfreich und relevant sind – ausgewählt und geplant im Austausch mit der freien Literaturszene. Wer sich regelmäßig in den Lettrétage-Kosmos verirrt, hat seinen Branchentreff-Kalender vielleicht schon durchgeplant, alle Unschlüssigen werfen am besten noch schnell einen letzten Blick ins Programm.
Am 8. Mai geht es wieder zurück zu business as usual. Bei DIE UKRAINE UND EUROPA –VON TRÄUMEN, GEFAHREN UND KÜNSTLER-BILDERN spricht Frank Träger, Gründer der Klaus Mann Initiative mit den Autoren Gabriel Wolkenfeld und Steffen Marciniak über ihre neuesten Gedichtbände, den Nebelatlas und die Prinzenverstecke. Dabei schlägt der Abend einen großen Bogen: von der Lyrik und Prosa der beiden, die nicht nur, aber auch zur aktuellen Situation in der Ukraine Bezug nehmen, bis zur „Russland-Reise“ des Künstlers Ernst Barlach, den Frank Träger anhand von Barlachs Texten in Beziehung zur Ukraine und zu den anderen Texten des Abends setzt.
Über 750 Gedichte umfasst die Kalligraphische Bibliothek der Poesie, an der silvio colditz seit einigen Jahren arbeitet. Etwa 16 Stunden sitzt er an einem Werk, manchmal länger. Für die 50 Gedichte, die in der zweiten Ausgabe der GESTE, dem publizistischen Arm der Bibliothek, versammelt sind, hat er also um die 800 Stunden aufgewendet. “Am schlimmsten ist es, wenn in der letzten Zeile ein Fehler passiert”, sagt er im Online-Magazin Neustadt-Geflüster anlässlich einer Ausstellung seiner Kalligraphischen Bibliothek. Eine Auswahl der 50 Gedichte präsentiert silvio colditz zusammen mit Michael Georg Bregel, Isabel Klink, Abdulkadir Musa, Steffen Marciniak und Gabriel Wolkenfeld am 10. Mai bei DIE GESTE: BERLIN-PREMIERE DER 2. AUSGABE.
Von Christine de Pizan sagt man, sie sei die erste europäische Autorin gewesen, die von ihrem Schreiben leben konnte. Nachdem die BücherFrauen 2021 ihren Buchpreis nach ihr benannt hatten, schien die Zeit für eine Neuausgabe des berühmtesten Werks der altfranzösischen Schriftstellerin endgültig gekommen, erklärt BücherFrau und Verlegerin Britta Jürgs vom AviVa Verlag im Interview mit der Lettrétage. Gemeinsam mit Herausgeberin und Übersetzerin Margerete Zimmermann präsentiert sie am 11. Mai EINE FRÜHFEMINISTISCHE UTOPIE: DAS BUCH VON DER STADT DER FRAUEN VON CHRISTINE DE PIZAN. Im Jahr 1405 erschienen, gilt Pizans „Buch von der Stadt der Frauen“ bis heute als „utopisches Werk, ein Gegenentwurf zur patriarchalischen Ordnung“ (Stuttgarter Zeitung) – und damit als erstes feministisches Werk Europas. Die Veranstaltung findet im Rahmen der ersten bundesweiten Feministischen Buchwoche 2023 (6. bis 14. Mai) statt.
Schöne Bücher mit dem Schwerpunkt Berlin und Brandenburg zu verlegen, das ist die erklärte Absicht des Ammian Verlags. Kein Wunder, dass der erste Prosaband des lettischen Autors Andris Kuprišs dort erscheint, heißt der Text doch genauso wie die Stadt, durch die sich sein Protagonist bewegt: „Paris soll die Stadt des Lichts sein. New York, die Stadt, die niemals schläft, aber Berlin – Berlin ist die Stadt des ewigen Katers, ein Kater in sämtlichen Abstufungen: Leichte Übelkeit in Mitte und am Potsdamer Platz, erste Grippesymptome in Schöneberg, schwerere Vergiftungen in Friedrichshain und Prenzlauer Berg, ein prächtiges und fettes Delirium in Kreuzberg und Neukölln.“ IMMER AM RANDE EINES ABGRUNDS navigiert der Erzähler von Riga nach Berlin, vom Krankenhaus bis in die Eckkneipe, von Kurzgeschichte zu Kurzgeschichte. Am 12. Mai spricht Andris Kuprišs mit der Übersetzerin Bettina Bergmann über das Schreiben und den Prozess des Übersetzens. Die deutschen Texte liest der Berliner Schauspieler Konstantin Bez.
Bartholomäus ist ein Waisenkind aus Bombay, 12 Jahre alt, vielsprachig. Deshalb wird er im Jahr 1854 als Übersetzer von den Gebrüdern Schlagintweit aus Deutschland angeheuert, die sich mit Unterstützung von Alexander von Humboldt und der East India Company auf die größte Expedition ihrer Zeit begeben, die sie quer durch Indien und den Himalaya führt. Basierend auf einer wahren Geschichte des 19. Jahrhunderts und ins Englische übersetzt von Rekha Kamath Rajan, versucht Christopher Kloebles Roman THE MUSEUM OF THE WORLD, die Geschichte des Kolonialismus aus einer neuen Perspektive zu befragen. „Kloeble endows Bartholomew with both the capacity for childlike wonder and a heightened adult awareness of the world“, fasst The Hindu zusammen. Bei der Buchpremiere der englischen Übersetzung am 18. Mai spricht Christopher Kloeble mit der Autorin Liska Jacobs (CATALINA, THE PINK HOTEL) über Geschichte, Kolonialismus und das Abenteuer, das es war, THE MUSEUM OF THE WORLD zu schreiben.
Am 20. Mai begeht FÜR IMMER GEGENWART das Ende einer Ära. Zehn Jahre sind genug. Die metamorphosen präsentieren ihre letzte Ausgabe und schauen weder zurück noch nach vorn, sondern auf das, was passiert. Wie empfinden wir Gegenwart? Welche Phänomene, welche Themen machen sie aus? Und was nutzt sie überhaupt als Konzept? Fragen wie diese haben die Redaktion in den letzten zehn Jahren immer wieder beschäftigt. Jetzt zum Ende dieses Literaturprojekts werden sie noch einmal von Autor:innen beantwortet, deren Schreiben das Magazin über die Jahre begleitet und verfolgt hat. Zum allerletzten Mal also gibt es semikryptische Editorials und semiprofessionellen Versand. Danach gibt es nur noch Gegenwart.
KLEINE FORMEN, GROSSE GEFÜHLE beschreibt als Formel kurz und bündig, was die von Sarah Berger und Johannes Finke im Herzstückverlag herausgegebene REIHE EINS anstrebt: auf knappem Raum die Suche nach der eigenen Existenz, dem eigenen Körper, der eigenen Geschichte zum Ausdruck zu bringen. Am 24. Mai lesen Eden Woldu, Alexander Graeff und Sarah Berger aus ihren Texten 15 MINUTEN RUHM , DIESE BESSERE HÄLFTE und WEN ES ETWAS ANGEHT.
“The deep sea is a haunted house, a place in which things that ought not to exist move about in the darkness”, beginnt Julia Armfield ihren Debutroman OUR WIVES UNDER THE SEA. „Part bruisingly tender love story, part nerve-clanging submarine thriller“, schreibt die Times dazu, „Armfield exercises an exquisite – even sadistic – sense of suspense“, heißt es von der Washington Post. Der Roman erzählt von Liebe und Sicherheit – und was passiert, wenn beides unmerklich schwindet. Als Leah von einer missglückten Tiefseemission zurückkehrt, bringt sie etwas mit sich zurück aufs Land, nach Hause zu ihrer Frau Miri. Das Leben der Eheleute, die ihre Wohnung kaum noch verlassen, schwankt fortan zwischen Surrealismus und Alltag, zwischen Horror und Liebesgeschichte. Armfield fragt in ihrem Roman nach dem Maß des Grauens, das eine Beziehung ertragen kann und blickt gemeinsam mit Mikaella Clements am 31. Mai auf den Grund des Ozeans und in die Abgründe einer Ehe. Die Berliner Schriftstellerin Lizzy Yarwood läutet den Abend mit einem Einblick in ihre Kurzgeschichten ein.
Copyrights
Obere Reihe: Die Geste; Sophie Davidson
Untere Reihe: Herzstückverlag; Britta Jürgs; Verlag der 9 Reiche; Zile Liepina