Die Lettrétage im März

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Der März wäre wahrscheinlich ganz nach dem Geschmack von Georges Perec. Denn dieser Monat hätte alle Voraussetzungen erfüllt, um in dessen berühmten, ohne den Buchstaben ‚e‘ auskommenden Abenteuerroman Verwendung zu finden. Mit solchen sich selbst beschneidenden Texten hat sich über mehrere Monate hinweg ein studentisch organisiertes Seminar der Humboldt-Universität theoretisch und praktisch auseinandergesetzt. Inspiriert von der literarischen Gruppe OuLiPo, die sich beim Schreiben freiwillig Regeln unterwarf, lädt das Seminar am 1. März zu einer GEREGELTEN LESUNG ein. Es werden verschiedenste literarische Experimente zu hören sein, in denen immer wieder Szenen des Berliner Alltags aufleuchten.

Am 9. März präsentiert sich die zweite Ausgabe des Magazins YALLAH SALON, deren Beiträge – Texte, Illustrationen und Fotografien – ARBEIT UND ILLUSION aus den unterschiedlichsten Perspektiven in den Blick nehmen: Sie handeln von Familien, von generationsbedingten Unterschieden und von Erwartungen an und für das Leben sowie von den Folgen all dessen. Thu Hoài Tran und Nafas lesen und diskutieren ihre im Magazin veröffentlichten Texte, anschließend folgt ein Gespräch mit einer Illustrator*in über die ästhetische Auseinandersetzung mit dem Thema.

„God, what a time to bring out a book about the bizarre, fucked up and nonsensical things that can happen to a woman’s body after she dies!”, platzte es aus Heather Perry während eines Interviews heraus. Ihr Gegenüber hatte auf die Parallelen zwischen dem öffentlich aufgebahrten Körper Queen Elizabeths II. und dem Schicksal von Luciana in ihrem Debütroman ORPHEUS BUILDS A GIRL hingewiesen. Zwei Stimmen ringen darin miteinander: Wilhelm von Tore, der meint, über den Tod hinaus Anspruch auf seine große Liebe zu haben, und Gabriela, Lucianas Schwester, die dessen Version der Geschichte anfechtet. „It’s a compelling, creepy tale – and one that raises relevant questions about who ‚owns‘ a woman’s body“, meint The Independent.

Von der Tradition der Gothic Novel zum Vermächtnis eines toten Autors: Der 11. März widmet sich Joseph Roth – und seiner Zeit in Berlin. „Joseph Roth hat Berlin nicht gemocht“, schreibt Michael Bienert in seinem Buch Joseph Roth in Berlin. Und doch war der Aufenthalt in der Hauptstadt (von 1920 bis 1925) insofern einzigartig für den Autor, als er hier eine feste Wohnung hatte. In Berlin stieg er schließlich auch zum Feuilletonkorrespondenten der angesehenen Frankfurter Zeitung auf. WHAT WE SEE: JOSEPH ROTH AND OUR BERLIN wirft nicht nur einen Blick auf Roths Texte aus jenen Jahren, sondern auch auf ihr Nachwirken bis heute. Dafür stehen an diesem Abend stellvertretend Paul Scraton und Julia Bosson, die momentan an einem Roman über Roths Leben und Journalismus arbeitet.

OMA, DIE NAZIS UND ICH am 12. März geht zurück auf „eine Diskrepanz“, die sich, so Veronica Frenzel im Interview mit der Lettrétage, „zwischen meinem Selbstbild und der Wirklichkeit“ aufgetan hatte: Ihr Selbstverständnis als Antirassistin geriet ins Wanken, als sie sich während eines Antirassismus-Trainings bei einem rassistischen Gedanken ertappte. Die Journalistin betreibt Ursachenforschung – und landet bei ihrer eigenen Familie und dem, was die Großeltern im Nationalsozialismus getan haben. Wie geht man damit um, wenn man in einer solchen Familie erzogen und sozialisiert wurde? Kann man sich von seinen Wurzeln lösen?

Die Literaturzeitschrift AM ERKER ist bereits 45 Jahre alt. Doch sie hat – über den Kalauer bitte großzügig hinwegsehen – immer noch Feuer, wie die aktuelle Ausgabe beweist. Für die PRÄSENTATION VOM AM ERKER NR. 83 am 14. März würde Anne-Dore Krohn wahrscheinlich die Mitnahme eines Notizzettels empfehlen, „um all die schönen Feuerwörter und Flammenbegriffe für kältere Zeiten zu sammeln“. Denn um nichts anderes als Feuer dreht sich das Heft: Dazu gehören ein brennender Berg in Spanien, der indische Feuergott Agni, der Ablasshandel mit dem CO2-Fußabdruck, der rotglühende Abend.

Apropos Ablasshandel: LASST UNS ÜBER GELD REDEN! Dazu lädt die Autorin Magdalena Sporkmann am 15. März ein. Sie geht von der Beobachtung aus, dass Frauen oft große Berührungsängste vor dem Thema Finanzen haben. Ihr Buch MISS MONEY – WAS SCHLAUE MÄDCHEN ÜBER GELD WISSEN SOLLTEN richtet sich deshalb, früh übt sich bekanntlich, explizit an Mädchen ab zwölf Jahren. Es vermittelt praxisnahes Grundlagenwissen zum Sparen, Geldverdienen, Konsumieren und Investieren. Ana Rocha, Sängerin aus Berlin, sorgt dabei für musikalische Begleitung mit Cover-Songs über Kröten, Mäuse und Moneten.

ZWEI WAHRHEITEN DES SCHREIBENS lautet der Titel des neuen Buchs von Ulrike Damm. Es beleuchtet die Verknüpfung von Literatur und deren Visualisierung – also genau das, was Ulrike Damms Kunst auszeichnet. Als gestaltende Dichterin und dichtende Gestalterin schreibt sie ihre Texte immer mehrfach: am Rechner und später auf Papier. Neben ihren Büchern entstehen begehbare Texte, sichtbar in Ausstellungen und Schriftbildinstallationen. Am 19. März wird dieses Verfahren anhand des Romans KULP UND WARUM ER ZUM FALL WURDE vor Augen geführt.

UNVEILING IRAN: VOICES FROM AFAR bietet am 21. März eine Plattform für alle, die aus dem Iran stammen oder ihm verbunden sind, um ihre Träume und Sehnsüchte nach ihrer Heimat zum Ausdruck zu bringen. Präsentiert wird dabei Live-Musik von Ansan, einer aus dem Iran, Israel, Indien und den USA stammenden Gruppe. Ihr Fusionssound verbindet persische Poesie mit modernen westlichen Genres wie Jazz und Blues und setzt damit ein Zeichen für die Kultur der Vermischung, die eine besondere Stärke des Iran ist. Darüber hinaus werden Schriftsteller:innen mit iranischen Wurzeln und solche, die etwas über den Iran zu sagen haben, ihre Werke auf Persisch und Englisch vortragen und Geschichten von Schönheit, Verlust, Zugehörigkeit und Sehnsucht erzählen.

Mündlichkeit und Literatur ist das Forschungsfeld der Wissenschaftlerin Katharina Mevissen. Diesem Verhältnis geht sie als Autorin mit literarischen Mitteln auf den Grund. Handelte ihr Debüt ICH KANN DICH HÖREN von nonverbaler Kommunikation, steht im Zentrum ihres neuen Romans MUTTERS STIMMBRUCH eine Figur unbestimmten Alters, der die Stimme bricht, der es gar an allem gebricht. Erst ein Zahn-, dann ein Ortswechsel sind nötig, damit sie wieder Boden gewinnt und sich einrichten kann in ihrem Leben. „Katharina Mevissen“, meint Cornelius Wüllenkemper im Deutschlandfunk, „hat viel gewagt in ihrem Erstling, und die gute Nachricht ist: ihr literarisches Experiment über die Beziehungshaftigkeit jenseits der gesprochenen Sprache ist geglückt.“ Wie dieses Experiment fortgesetzt wird, kann man am 23. März erfahren.

Uta von Arnims DAS INSTITUT IN RIGA hat mit Veronica Frenzels Buch, das am 12. März vorgestellt wird, gemeinsam, dass es die Verstrickungen der Großeltern in den Nationalsozialismus ans Licht holen will. So weit die Parallelen. Ein großer Unterschied besteht indes in der Motivation: „Mir ging es bei dem Buch keinesfalls um ‚Aufarbeitung‘ im Sinne einer ‚Katharsis‘, also ‚Reinigung‘ der Familie von Schuld oder Verstrickung in Verbrechen. Auch nicht um eine persönliche Entlastung. Mein Antrieb war, wissen zu wollen, auf welche Weise mein Großvater Teil des NS-Regimes gewesen ist“, stellt Uta von Arnim im Interview mit der Lettrétage klar. Was sie dabei über die Tätigkeit ihres Großvaters an einem medizinischen Forschungsinstitut im besetzten Lettland herausgefunden hat, ist „bemerkenswert und beklemmend zugleich“ (taz).

Jetzt wird es vielleicht etwas ‚tazig‘, aber im Gespräch mit der tageszeitung weist Jennifer Nansubuga Makumbi auf einen Sachverhalt hin, der auch für ihren Roman DIE ERSTE FRAU zentral ist: „Wir müssen uns unseren indigenen Feminismus ansehen und überlegen, wie er uns helfen kann, indigene Probleme zu bekämpfen. Denn wo immer Frauen unterdrückt wurden, gab es feministische Ideen, gab es Widerstand. Doch wenn wir den westlichen Feminismus nehmen und sagen, ja, das passt auch nach Afrika, dann funktioniert das nicht.“ Wie übermächtig westliche Vorstellungen von Feminismus sich nach der World Conference of Women 1975 auch in afrikanischen Ländern verbreiteten und dortige Ideen verdrängten, schildert die aus Uganda stammende Autorin am 31. März bei der Präsentation ihres Romans – einer Geschichte zwischen traditionellen und modernen Feminismen vor dem Hintergrund des gewaltvollen Regimes von Idi Amin im Uganda der 1970er Jahre.

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ORPHEUS BUILDS A GIRL (c) Belgravia Books; Beitragsbild zu PRÄSENTATION VON AM ERKER NR. 83 (c) Agnes Voigt: Brennender Dornbusch 06; Ulrike Damm (c) Anna Brinkmann; Magdalena Sporkmann (c) Barbara Dietl & dtv; Beitragsbild zu ARBEIT UND ILLUSION (c) Sharonda Quainoo.