Die Lettrétage im Juni

© Pablo Hassmann

Im Juni wird es performativ in der Lettrétage! In einer Wochenendveranstaltung fließt der Mai in den Juni über und beginnt seinen ersten Tag mit einer zweisprachigen Performance lautsprachlicher Lyrik und Gebärdensprachpoesie. Über eine südsyrische Provinz geht es weiter in einen kollektiven Raum fernab jeglicher Wettbewerbsökonomie. Nach multi-sensorischen Entdeckungsreisen durch atmosphärische Klänge und video-poetry taucht der Juni übersetzend in sprachliche Elastizitäten, um anschließend zwei Debütromane zwischen Punk und Zärtlichkeit zu erkunden. Es wird über jüngste Entwicklungen in Osteuropa diskutiert und es werden Konzepte von Körper erforscht und stereotype Darstellungen von womxn in der Kunst hinterfragt. Im Juni bekommen wohnungslose Frauen eine Stimme und eine einzelne Frau in Mexiko träumt beinahe tausend Verse. Sprachgeneratoren werden in ihre Schranken verwiesen und ein poetischer Film entzündet musikalische Dialoge!

Wie sieht eine queere Sprache aus? Und wie verändern sich die Begriffe queerer Lebensrealitäten zwischen Tauben und hörenden Individuen? Wie bilden sich neue Begriffe und wie bilden sich neue Gebärden für neue Begriffe? Am 01. Juni➚ bringt die Literaturinitiative »handverlesen« gemeinsam mit der Lettrétage wieder Taube und hörende Künstler:innen zusammen, um neue Formen des Ausdrucks zu finden.

Am 02. Juni präsentiert Najat Abed Alsamad ihren von Larissa Bender übersetzten Roman »Kein Wasser stillt ihren Durst« (Edition Faust)➚. Er erzählt vom Leben der drusischen Gesellschaft in der südsyrischen Provinz und gleichnamigen Stadt Suwaida. Aus der Perspektive einer Frau, die sich gegen die gesellschaftlichen Traditionen auflehnt und dafür in die Kellerkammer ihres Elternhauses gesperrt wird, berichtet die Autorin über Bräuche, Traditionen und Mythen der Drusen. Passagen aus der oralen Erzähltradition, die einzelnen Kapiteln im Buch vorangestellt sind, geben einen beklemmenden Einblick in das Leben der Frauen, die sich den von Männern geprägten Traditionen unterordnen müssen.

Wir gratulieren dem Berliner Lyrikkollektiv »das ad hoc«➚ zu seinem 5-jährigen Bestehen! Zum Auftakt der Lesereihe am 11. Juni➚ feiern die Mitglieder des Kollektivs den Geburtstag und präsentieren erste Ergebnisse eines gemeinsam geschriebenen Gedichtgewebes, welches in darauffolgenden Lesungen weiter wachsen soll. Es wird zurückgeblickt auf die letzten fünf Jahre, auf Highlights, Herausforderungen und Veränderungen. Außerdem wird die Website des Grafikstudios »notes on« gelauncht. Hier wird der kollektive poetische Prozess online inszeniert und festgehalten.

Zum dritten Mal bereits wird am 14. Juni »Convergence« in seinen experimentellen Bann ziehen. Im Zusammenspiel von visuellem und klanglichem Ausdruck, zwischen Absicht und Zufall entsteht ihre Kunst. Geladen wird zu einem wilden Abend multisensorischer Performances, organisiert vom Kross Collective, welches das Intermezzo zwischen Sound, Text und Visualem erkundet.

Am 15. Juni beschließt SIESTA➚ mit ihrer dritten und (vorerst) letzten Veranstaltung die »Panoramas of Latin American Performative Literature« in Berlin. Drei Autor:innen, übersetzt von drei Translator:innen, präsentieren ihre Texte über sagging boobs und Menopause, über Pilze und Fäulnis – fesselnde Texte, soundsicher gedichtet aus zusammemgesammelten Klängen. Unterstrichen wird das Ganze durch eine visuelle Kulisse zweier Künstler:innen und zum Ausklang des Siesta Festivals wird gefeiert, mit Musik von DJ Amuleto Manuela➚!

Hannah K Bründl und Maë Schwinghammer erkunden am 18. Juni Spielräume zwischen Gattungsgrenzen, Mythos und Wahrheit. Beide Autor:innen lesen aus ihren Debütbänden und unveröffentlichten, neuen Texten. Es wird um Flinta*körper, die als Mütter gelesen werden, gehen (Bründl: »Mother_s« [roughbooks, 2023]➚) und um neue soziale Abläufe und Choreographien in Zeiten einer globalen Pandemie (Schwinghammer: »Covids Metamorphosen« [Klever, 2022]➚).

Erneut bietet das PostOst-Café am 19. Juni einen Ort zum Zusammenkommen, für Begegnung, für Gespräche und Literatur. Im Fokus stehen hierbei die Hintergründe jüngster politischer Entwicklungen in Osteuropa und der Austausch über kollektive Erfahrungen der Migration von Ost nach West. Es wird um Identitäten, transgenerationale Traumata, migrierte Konflikte und tief verwurzelte Glaubensgrundsätze gehen. Kuratiert und moderiert wird der Abend von Ani Menua und Alisha Gamisch für das Zentrum für Antislawismusforschung e.V. Zu Gast werden Senka, Lana Lux und Daniel Heinz sein, in Lesung & Gespräch – Sie sind herzlich eingeladen mitzureden!

Am 20. Juni präsentiert der Autor und Forscher Maher Masoud Ergebnisse zu Untersuchungen von Körper und Ethik unter philosophischen Betrachtungspunkten. Genauer wird es um das Konzept des Körpers in seiner Beziehung zu Liebe und Ethik sowie die Rolle sozialer Normen und politischer Kräfte bei der Konstruktion und Definition der Identität des Körpers und unserer Wahrnehmung dessen gehen. Die »Ibn Rushd Lecture: The Body and Ethics Philosophically« findet auf Arabisch statt und wird von Dr. Amany Alsiefy (Ibn Rushd Fund/Humboldt-Universität zu Berlin) moderiert.

Weiter geht es zur Sommersonnenwende am 21. Juni mit leidenschaftlicher Poesie von sechs womxn writers. An diesem Abend wird die stereotype Darstellung von Frauenfiguren in Film, Literatur, Musik und Performance als Spiegel der Gesellschaft gezeigt und zerrissen. »Girl, Show Me That Body (of Work)« ist eine Veranstaltungsreihe, die ausschließlich Schriftstellerinnen, Dichterinnen und Performerinnen mit Migrationshintergrund vorstellt und das generationenübergreifende Trauma beleuchtet, das durch Abstammung, Politik und Gesellschaft verursacht wird, sowie die Arbeit, die Künstlerinnen leisten, um es zu heilen. Eine Veranstaltung der Autorin und Journalistin Ioana Cristina Casapu➚. Das Line-up von sechs internationalen Künstlerinnen mit Berlin-Bezug wird bald verkündet!

Am 23. Juni macht Angelika Sinn die Erlebnisse und Erfahrungen wohnungsloser Frauen nahbar und liest aus ihrem Buch »Keine Bleibe – Lebensgeschichten wohnungsloser Frauen« (Osburg-Verlag, 2024➚). Gewalt und sexueller Missbrauch, Ausbeutung, Betrug oder Sexarbeit – in Sinns Buch bekommen wohnungslose Frauen eine Stimme und erzählen von ihren Lebenswelten, die uns alle etwas angehen. Moderation: Vera Kissel➚.

Mit Sor Juana werden am 24. Juni➚ beinahe 1000 Verse geträumt! Präsentiert wird die Neuübersetzung von Sor Juanas: »Primero sueño« (Turia+Kant➚), die im vergangenen Jahr erschienen ist. Im Gedicht schläft eine Frau ein, träumt beinahe 1000 Verse und wacht, von Hunger und Sonne geweckt, wieder auf. Es beschreibt den Körper als Maschine und begibt sich auf eine Seelenreise, die im Scheitern der Erkenntnis unerhört modern endet. Die mexikanische Autorin und Theoretikerin Cristina Rivera Garza wird Ausschnitte des Gedichtes auf Spanisch vortragen, die Übersetzerin und Lyrikerin Nora Zapf wird aus ihrer deutschen Nachdichtung lesen. Im Anschluss findet ein Gespräch über Sor Juana als zentrale Figur des lateinamerikanischen Barock und als wichtige Impulsgeberin für gegenwärtige Diskurse statt. Moderation: Oliver Precht.

Performativ wird es am 26. Juni mit einer abwechslungsreichen Darbietung zwischen Lesung, Filmvorführung und Gespräch beim lateinamerikanischen Poesiefestival »Inteligencia artifical_artesanal«. Fragen nach menschlicher Intelligenz werden ins Sprach- und Filmlabor gebracht: So finden Gespräche und Übersetzungsexperimente mit den Autorinnen Isabel Fargo Cole und Cristina Rivera Garza zu künstlicher Intelligenz und nicht nur menschlicher Raumerfahrung statt. Außerdem wird der Poetryfilm »No he venido a ver el cielo«, von Lena Szankay➚ mit New Yorker Schlachthaus-Skyline und Flamenco-Staccato in mehrfachen, auch musikalischen Dialog (Jordan Lee Schnee) gebracht.

»The Reader« bringt den literarischen Juni am Freitag, den 28.➚ zum Abschluss. Über Tage, Wochen und Monate wurden Gedichte verfasst, Essays erdacht und Romane geschrieben. Der Abend lässt Sie eintauchen in faszinierende und bewegende Texte aller Genres! Moderation: Sanders Isaac Bernstein. Zum Juniende wollen wir gemeinsam das Schreiben und den Sommer feiern!