Zitat der Woche

schneewittchen.
das gute an ihr:
man kann sie vergiften, schütteln
sie wacht wieder auf.

mal tanzt sie auf sieben hügeln
dann löscht die nacht sie aus
wie man eine schneekugel
vom nachtisch fegt.

da liegt sie. die ganze weiße
pracht schmilzt wie pulver.
jetzt ist klar, wer                                        
die glitzernde, strenge schöne ist. 

aber ein morgen, irgendeiner
voller apfelnachbilder
voller miederbänder und apfelreste
bringt sie zurück. irgendwann.

leg sie auf eis.
sie passt zu uns:
man kann sie auftauen und
wieder einfrieren. sieben
kühlschränke geben uns recht

ihre kehle ein bach, ihre zunge
liegt auf der zunge wie ein guter wein
ihr herz, königinnenart
verdirbt nicht so schnell.

Birgit Kreipe: schneewittchen. revisited. via Lyrikline

Zitat der Woche

eine Zartheit befolgt, ein Herzklopfen, beinah
Anordnung (Flageolett):
ein versprengter Frost, ein Stanniol, das
Aufblitzen in den Augen
„wie sich diese unsteten Gegenden nach und nach
lossagen von uns“

Imitate und Tarnungen, halber Aufenthalt
wie auf fotokopiertem Schnee (die geheimen
Verstecke: dein einzeln beschlagenes
Brillenglas, ich bin anstandshalber
bald wieder gegangen) und alle Berührungen
fallengelassen: noch rasch
an dich angelehnt

flackernde Orte, ein Herzklopfen
voller Teelichter, leichte Bandagen: ich taste
die Schuhe, die Schneeränder ab
eine Zartheit befolgt, ein paar Fluchtpunkte
sachte verschoben, ich habe die Fingerspitzen lackiert
als wären sie winterfest

Marion Poschmann: winterliche Anwendung mit Teelichtern, via Lyrikline

Zitat der Woche

In den Nachrichten die neuen Zahlen. Der Gesundheitsminister erklärt, es sei die Ruhe vor dem Sturm. Keiner könne sagen, was komme. Ich denke, er hat doch gesagt, es kommt ein Sturm. Der Himmel rot, davor dürre Äste, manchmal ein Gehöft, es fühlt sich seltsam an, unwirklich und mulmig. Als ginge etwas zu Ende.

Yannic Han Biao Federer: Ostwestfalen-Lippe, in: stadt.land.text NRW 2020