„Auch Männer müssen ihre Rolle neu definieren“ – Interview mit Isobel Markus

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In diesem Jahr hat Isobel Markus das Lettrétage-Programm mit ihrer Veranstaltungsreihe FRAUENART – BACK, NOW & THEN geprägt. Am 18. November steht sie nun mit MÄNNERART – ALTE UND NEUE MÄNNERBILDER auf der Bühne, um Themen wie den Wandel des Männerbilds, toxische Maskulinität und moderne Ideale zu thematisieren und Anreize, die in der Frauenart aufgeworfen wurden, aufzugreifen und zu vertiefen.

Aber keine Sorge, die FRAUENART ist noch längst nicht ausgereizt, wie Isobel Markus uns im Interview versichert. Wir hatten die Möglichkeit, mit ihr über die kommende Veranstaltung, ihr Fazit und ihre Erwartungen mit Blick auf die bisherige Frauenart-Reihe und natürlich über Männerbilder zu reden. Dafür möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken!

Lettrétage: In diesem Jahr gehörte Deine Berliner Salonage wieder zum festen Repertoire der Lettrétage, diesmal mit der Reihe „Frauenart“. Mit Blick auf den November wird sich vielleicht nun der eine oder die andere die Augen reiben, weil Du einen Abend zu „Männerart“ organisierst. Ist die „Frauenart“ ausgereizt? Oder wie fällt aus Deiner Sicht die Bilanz der Reihe aus? Inwiefern wurden Deine Erwartungen erfüllt bzw. nicht erfüllt?

Isobel Markus: Wenn sich Menschen die Augen reiben, finde ich das eigentlich ganz gut, weil vielleicht ja danach der Blick etwas klarer ist. Tatsächlich ist die Reihe Frauenart aber noch lange nicht ausgereizt und wird ab April 2023 mit drei weiteren Abenden der Berliner Salonage fortgeführt. Ich habe so spannende Themen vor wie „Der weibliche Körper: Raum, Selbstbestimmung, Tabus“ (21. April), „Weibliche Liebe und Lust“ (23. Juni) und „Rosige Aussichten auf… was wir uns für die Zukunft wünschen“ (8. September). Ich bin froh, dass ich meine Reihe durch die Förderung der Senatsverwaltung für Kultur und Europa insgesamt zwei Jahre realisieren kann und freue mich schon auf die kommenden Salons, meine wunderbaren Gäste, die jedes Mal wichtige Impulse setzen, dazu unseren Austausch, besonders auch den mit dem Publikum.


Mir haben die vergangenen Frauenart-Salonages gezeigt, dass sich in der Darstellung und Diskussion der einzelnen Themen noch weitere Fragestellungen und Aspekte herauskristallisierten, die ich gern auch noch vertiefen würde. Insgesamt wurden meine Erwartungen sogar übertroffen. Ebenso groß war die Resonanz, sowohl von Künstler*innenseite als auch von dem sich aktiv beteiligenden Publikum. Ich merkte bald, dass die Themen etwas anstoßen, das viele umtreibt und anspricht und zu dem es Fragen, Gedanken, aber auch persönliche Geschichten und infolge Aha-Erlebnisse gab. Wir auf der Bühne hatten lustige, inspirierende, aber auch sehr berührende und persönliche Momente, die vom Publikum aufgenommen und ebenso widergespiegelt wurden. Für uns Künstler*innen waren das intensive Erlebnisse und für mich persönlich war es genau so, wie ich mir das in meiner Vorbereitung der Salonageabende immer ausgemalt und gewünscht habe.

Wie kam es zu der Idee, einen Abend zu „Männerart“ auf die Beine zu stellen?

Da es manchmal in den Frauenart-Salons das Gefühl gab, dass man einen Aspekt noch weiter hätte vertiefen können, weil er vielleicht auch die männliche Seite betraf, formte sich bei mir schnell die Idee einer Männerart-Salonage zu Themen, die das aktuelle und sich wandelnde Männerbild umreißen. Dieser erste Männerart-Abend am 18.11. ist ein Auftakt, um anfänglich auch mal Männerthemen zu hinterfragen. Diesmal fragen wir uns: Was ist eigentlich toxische Männlichkeit? Wie verändert sich das traditionelle Männerbild gesellschaftlich? Was bedeutet es heutzutage, Mann zu sein? Gibt es Unsicherheiten, aber auch ein modernes männliches Idealbild? Autoren wie Björn Kuhligk, Klaus Ungerer, Andreas Baum und Michael Wäser, der Collagist und Autor Daniel Boente sowie die Musiker der Hip Hop/Trap–Crew OSTBERLIN ANDROGYN beleuchten alte und neue Bilder von Männlichkeit aus unterschiedlichen kreativen Blickwinkeln und Herangehensweisen. Gemeinsam zeigen wir verschiedene Perspektiven auf und bieten Denkanstöße.

Wie hat sich das Männerbild deiner Meinung nach in den letzten Jahren verändert?

Ich finde, ein Wandel ist auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu spüren, in Erwerbsarbeit, Verteilung von Care-Arbeit, Familie, Sexualität und Erziehung. Das hypermaskuline Bild à la Westernheld oder alter James Bond-Darstellungen hat ausgedient und wirkt antiquiert. Moderne Männer zeigen verletzliche Seiten, verbalisieren Emotionen jenseits von Wut und Aggression, teilen Kinder-, Haushalt- und Familienbelange wie auch die Karriereplätze und bleiben trotzdem Mann dabei. Auch Männer müssen ihre Rolle neu definieren. Das ist ein Prozess.


Aber natürlich bringt jeder Prozess Herausforderungen mit sich und dementsprechend Unsicherheiten, Wut oder Hass wie in Gegenbewegungen von Antifeministen, Maskulinisten, Incels, Pick-up-Artists und Menschen, die von Gender-Diktat sprechen.
Gesellschaftlicher Wandel kann meines Erachtens nur gelingen, wenn gesprochen und kommuniziert wird. Wir müssen versuchen, Grenzen zu überwinden, die uns im Kleinen wie im Großen trennen, indem wir miteinander ins Gespräch kommen, Unsicherheiten ansprechen und Gleichberechtigung aushandeln. Das birgt Chancen und Entlastung für alle Seiten. Gerade für Menschen in traditionellen, starren und häufig krankmachenden Genderrollen bedeutet ein freieres Rollenbild eine große Erleichterung.

Hat die Veranstaltung vielleicht auch das Zeug, zu einer Reihe ausgebaut zu werden? Oder wie sehen Deine Pläne fürs das kommende Jahr aus?

Meine Pläne für 2023 sehen erst einmal so aus, dass ich mich schon sehr vorfreudig in die Fortführung der Frauenart-Salonage stürze. Derzeit plane ich ein Konzept für 2024/25, das aber noch recht unausgereift ist. Nur so viel kann verraten sein: Ich freue mich auf viele tolle Künstler*innen, noch mehr Austausch und kreative Gedankenimpulse in der Berliner Salonage.