„Anspruchsvoll, wagemutig und trippy“ – Interview mit René Koch vom Kopf & Kragen Literaturverlag

Am 30. Oktober steigt in der Lettrétage SALON 1 – Literatur & Kunst, Kritik & Visionen, der – wie der Titel schon erahnen lässt – Auftakt zu einer Reihe von Literatur- und Kultursalons, die der Kopf & Kragen Literaturverlag auszurichten plant. Hinter dieser Berliner Neugründung verbirgt sich nicht nur ein unabhängiger Verlag, sondern auch ein Kollektiv. Seit Herbst 2021 steht der Name für Gegenwartsliteratur und weitere Kunstformen. Ziel ist es, anderen Stimmen und Themen als den bislang zu hörenden eine Möglichkeit zur Entfaltung zu geben – in der Überzeugung, dass Sprache die Macht hat, die Welt zu verändern. Wir hatten Gelegenheit, René Koch, dem Inhaber, ein paar Fragen zum Selbstverständnis und zu den Ansprüchen des Verlags zu stellen. Dafür möchten wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken!

Lettrétage: Ihr seid ja ein recht neuer Verlag, erst im Herbst 2021 habt ihr euch gegründet. Wie kam es dazu, was war euer Anreiz?

René Koch: Wir leben in einer Welt, in der unserer Meinung nach die falschen Stimmen immer lauter und unerträglicher werden. Dem wollten und werden wir etwas entgegensetzen, indem wir eine öffentlichkeitswirksame Plattform geschaffen haben, auf der wir anderen Stimmen und Visionen Raum bieten. Zugleich bewegen wir uns in einem kreativen Umfeld, bestehend aus Schriftsteller:innen, Designer:innen, Musiker:innen, Maler:innen, Schauspieler:innen und Filmemacher:innen, und sind selbst künstlerisch tätig. Wir alle liefern Output und sind permanent dem Urteil von Gatekeepern ausgeliefert, die dieses und jenes für verwertbar halten, für massentauglich oder unbrauchbar. Die Gründung des Kopf & Kragen Literaturverlags ist also auch ein Akt der Selbstermächtigung. Wir treten nun als Künstler:innen direkt mit an unserer Arbeit interessierten Menschen in Kontakt. Gleichzeitig müssen wir den Widerspruch aushalten, dass wir als Verlag inzwischen selbst eine Art Gatekeeper darstellen. Allerdings verstehen wir uns in erster Linie als ein offenes Kollektiv, das Künstler:innen unterschiedlicher Disziplinen die Möglichkeit bietet, sich einzubringen und bisher weniger beachtete Themen und Arbeitsweisen in den Fokus zu rücken. Wichtig ist aber auch: Wir sind Quereinsteiger, die sich im ersten „Ausbildungsjahr“ befinden, noch sehr viel dazulernen müssen und noch viel mehr vorhaben.

L: Ihr habt laut eurer Website einen literarischen, künstlerischen und auch sozialen Anspruch. Ihr wollt zum Beispiel regelmäßig Buchprojekte realisieren, deren Gewinn mindestens zu 50% wohltätigen Zwecken zugutekommen soll. Könnt ihr genauer erklären, worin genau dieser soziale Anspruch besteht?

RK: Aktuell spenden wir 50 % des Gewinns, den wir mit dem Buch MANIFEST FÜR EIN GUTES LEBEN erzielen. Ein gutes Leben zu propagieren und den damit generierten Gewinn nicht zu teilen, halten wir für absolut unangemessen. Am Jahresende werden wir auf unserer Website bekannt geben, wohin die jährlich gebündelten Spenden gehen. Auch im kommenden Jahr wollen wir ein thematisch passendes Buch auswählen und veröffentlichen, dessen Gewinn zu 50 % gespendet wird. Wir entwickeln zum Beispiel gerade die Reihe LITERATUR VS. DIKTATUR und gehen dabei der Frage nach, warum sich Diktaturen vor Literatur (nicht) fürchten müssen. Wir hoffen, dass wir mit diesem Projekt ab 2024 weniger bekannte Schriftsteller:innen, die unter extrem schwierigen politischen Bedingungen und angespannten wirtschaftlichen Verhältnissen arbeiten, unterstützen können.

L: Wonach wählt ihr aus, welche (literarische) Kunst ihr veröffentlicht? Was sind eure Kriterien?

RK: Anspruchsvoll, wagemutig und trippy. Wir verstehen uns als Optimisten. Wache Utopisten. Radikale Humanisten. Wichtig sind uns daher die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen, politischen und gesellschaftskritischen Themen. Wir wollen mit unseren Büchern und unserer Kunst einen anderen Blick auf die Gegenwart werfen, über sie hinausdenken und utopische und visionäre Räume eröffnen. Wie etwa mit dem Roman LITIOTOPIA von Poljak Wlassowetz, der sich mit dem Lithium-Abbau in Bolivien, deutschen neokolonialistischen Interessen und dem andinen Konzept des „guten Lebens“ auseinandersetzt. Wir wollen Alternativen zur vermeintlichen Alternativlosigkeit schaffen, ohne zwangsläufig bitterernst sein zu müssen. Insofern freuen wir uns zum Beispiel auf das im kommenden Jahr bei uns erscheinende, illustrierte Wahlprogramm der Außerirdischen Invasoren Partei Deutschlands.

L: Eure Publikationen werden in Kleinstauflagen gedruckt und danach nur noch als Print-On-Demand zur Verfügung gestellt. Wieso habt ihr euch für dieses Modell entschieden?

RK: Unsere veredelten Hardcovertitel werden vorerst ausschließlich mit festen Auflagen produziert, etwa der Roman LITIOTOPIA oder die 2023 bei uns erscheinende Übersetzung des Romans FEMME DU CIEL ET DES TEMPÊTES von Wilfried N´Sondé. Denn auch wir wollen unsere Bücher optisch und haptisch erlebbar machen und unsere bibliophile Ader ausleben. Für unsere reduzierter gestalteten Softcovertitel halten wir die Kombination aus Kleinstauflagen und Print-On-Demand-Verfahren aber für geeigneter. Einerseits glauben wir, dass es im Zeitalter des Klimawandels und der Ressourcenverknappung neue Konzept braucht, um auf die Krisen unserer Zeit angemessen zu antworten. Dies tun wir, indem wir Überproduktionen, übermäßige Lagerhaltungen und unnötige Transportwege vermeiden. Anderseits können wir durch das POD-Verfahren, aufgrund des finanziell geringeren Risikos, gewagtere Texte verlegen und mit Form und Inhalt experimentieren. Dieses von uns praktizierte „Hybridmodell“ ist natürlich ein Versuch mit ungewissem Ausgang. Wir werden sehen, ob wir dauerhaft so verfahren können. Entscheidend ist sicherlich auch, ob sich in Zukunft noch mehr Buchhändler:innen für alternative Modelle öffnen und mehr POD-Titel Einzug in die Sortimente finden werden. Um ehrlich zu sein: Wir wüssten nicht, was dagegensprechen würde, schließlich werden unsere vorproduzierten Bücher und unsere POD-Titel von der gleichen, renommierten Druckerei hergestellt. Ein Qualitätsunterschied ist nicht auszumachen und zudem gibt es auch auf die POD-Titel ein Remissionsrecht.

L: Am Ende geht es bekanntlich immer ums Geld. Wenn ihr regelmäßig vom Gewinn einzelner Titel mindestens die Hälfte spenden wollt, stellt sich natürlich auch die Frage: Wie finanziert ihr euch?

RK: Zum Glück geht es nicht immer nur ums Geld. Natürlich wollen und müssen auch wir kostendeckend oder noch besser gewinnbringend arbeiten, um neue Bücher publizieren und unsere Visionen verbreiten zu können. Schließlich ist auch der Buchmarkt, so verheißungsvoll das Wort auch klingen mag, Teil des kapitalistischen Systems und daher mit vielen seltsamen Regeln und Schattenseiten verbunden. Erfreulicherweise müssen wir uns aber nicht allen Gesetzmäßigkeiten beugen, denn das Kernteam des Verlags ist finanziell unabhängig, das heißt, wir bestreiten unseren Lebensunterhalt nicht allein durch den Verlag. Dadurch können wir uns als Verlag und Künstler:innenkollektiv von ökonomischen Zwängen halbwegs befreit entwickeln und idealerweise etablieren. Wir hoffen, dass sich unser Einsatz lohnen wird, und zwar in der Form, dass wir mit unseren Büchern und unserer Kunst Diskurse auslösen können, die uns alle über die vermeintlich zukunftslose Gegenwart hinausführen.

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