5 Fragen an Jake Schneider von SAND

Am 25. Mai feiert die Literaturzeitschrift SAND ihre neuste Ausgabe Nr. 17 in der Lettrétage. Im Hinblick auf die Launch-Party mit Lesung haben wir dem Chefradakteur Jake Schneider fünf Fragen gestellt.

Wie lange gibt es euch schon und aus welcher Initiative seid ihr entstanden?

Gegründet wurde das SAND-Magazin 2009 von Becky Crook, einer Schriftstellerin und Übersetzerin aus dem Norwegischen und Deutschen ins Englische, die dann in die USA zurückgezogen ist, bevor ich hier 2012 ankam. SAND hat sie aber in gute Händen gegeben. Ich selbst kann Beckys Motivation nicht beschreiben, aber so wie ich’s verstehe, gab es damals eine aktive Szene an englischsprachigen Autor*innen in Mitte. In ihren Worten waren es hauptsächlich „Schreibende, die in Cafés rumsitzend darüber schreiben, wie man im Café schreibend rumsitzt“. Sie hat dann die Zeitschrift gegründet, um die Texte der damaligen Szene zu präsentieren. Wir haben uns übrigens noch immer nicht persönlich kennengelernt, obwohl ich doch beim letzten Team-Treffen ein Rezept von ihr serviert habe: norwegischen Rhabarberkompott mit Schlagsahne.

Nach sechzehn Ausgaben tischen wir die Publikation weiter auf. In den ersten Jahren lag der Schwerpunkt auf in Berlin lebenden Autor*innen, wobei wir in letzter Zeit immer mehr Texte, Übersetzungen und Kunstwerke aus aller Welt veröffentlichen und gleichzeitig anstreben, eine größere Rolle in der hiesigen Literaturszene zu spielen. Wir betrachten SAND als Abbild unserer Berliner Szene, die enorm international ist, aber ihre Wurzeln auch immer in lokalen, persönlichen Beziehungen hat.

Welche Literatur interessiert euch? Worin seht ihr eure Aufgabe als Literaturvermittler*innen?

Auf die erste Frage würde jede*r Redakteur*in für sich unterschiedlich antworten. Die Lyrikauswahl von Greg Nissan hat immer viel Experimentelles drin, aber auch skurrile Gegenüberstellungen und trügerisch schlicht aussehende Prosagedichte. Florian Duijsens und Ashley Moore sind Fiction-Allesfresser, doch mögen sie insbesondere Texte, die über den psychologischen Realismus – und selbst über Naturgesetze – hinausgehen, um tiefere Wahrheiten über die Figuren und deren Lebenswelt auszudrücken. Ich bin auch gespannt zu sehen, in welche Richtung unsere neue Nonfiction-Redakteurin Susanna Forrest ihre Sparte bringt.

Über unseren literarischen Geschmack hinaus haben wir alle einen starken Anspruch, selten berücksichtigte Stimmen zu veröffentlichen. Wir zielen auf eine Geschlechterparität in jeder Ausgabe und es gibt fast immer Beiträge aus dem afrikanischen Kontinent oder der Diaspora aus dem englischsprachigen Asien und der LSBTQ*-Community. Wir verbreiten also sehr gerne Perspektiven, die wir zu selten zu lesen bekommen.

Unsere grundsätzliche Aufgabe als Zeitschriftenverleger*innen und Veranstalter*innen besteht darin, Schreibende, Lesende und andere Verleger*innen aufeinander aufmerksam zu machen. Niedrigschwellige Zeitschriften spielen eine Rolle, die auf dem Literaturmarkt zu wenig wertgeschätzt wird.. Und weil wir fast ausschließlich unaufgeforderte Einreichungen veröffentlichen (für dieses Heft gab es über 1.600), dürfen wir fantastische Schriftsteller*innen und Kunstschaffende präsentieren, die noch keine bekannten Namen sind. Neulich  erst erreichte uns die grandiose Nachricht, dass die 24-jährige Momtaza Mehri, eine somali-britische Lyrikerin aus der 15. Ausgabe letzten Jahres, zur Jungen Stadtdichterin für London ernannt wurde. Wir haben uns riesig gefreut und waren enorm stolz darauf, dass wir ihre Texte schon kannten.

Wie finanziert ihr euer Projekt?

Gute Frage, die stellen wir uns manchmal auch. Die direkteste Antwort wäre, dass wir selbst finanziert sind – wir sind ein gemeinnütziger e.V. und decken unsere Kosten komplett durch Eintrittsgelder und Heftverkäufe. Aber wir sind auch insofern selbst finanziert, als jeder von uns diesem Projekt viele Stunden Freizeit und Leidenschaft spendet. Wir sind allesamt Ehrenamtliche, auch ich. Eine andere Antwort wäre, dass wir uns von unseren diversen Brotjobs finanzieren.

Wir würden ganz gerne zu einem „anständigen“ Sponsoring- oder Förderungsmodell übergehen, doch aktuell gibt es hier kein laufendes Förderprogramm für Literaturzeitschriften, nicht mal deutschsprachige. Aber auch so hätten wir Angst davor, dass das Projekt gänzlich aufhört, sobald das Geld irgendwann alle ist. Die Nachhaltigkeit ist uns wichtig.

Daher verteilen wir die Arbeit auf viele Leute, was die gesamte Aufgabe viel überschaubarer macht. Wir leben damit, dass jeder von uns nur vorübergehend im Team arbeitet, aber das Projekt weitergeht. Und natürlich gibt es viel Wein, Essen und Geplauder bei unseren Treffen. Wir machen dieses Ding, weil es uns eben Spaß macht.

Ihr seid ein großes Team, arbeitet ihr alle von Berlin aus?

Ja. Jede*r im Team wohnt und arbeitet in Berlin (bis auf Ashley, die in Bayreuth lebt) und wir treffen uns mindestens monatlich (Ashley fährt mit dem Fernbus hierher). Aber als Vertreter*innen der sehr international geprägten Berliner englischsprachigen Szene stammen wir aus vielen Orten und irgendjemand ist immer auf Reisen. In der heutigen Konstellation haben wir fünfzehn Mitglieder aus acht Ländern.

Daher versteht sich unsere internationale Ausrichtung von alleine: Alle gehen aus verschiedenen Perspektiven an die Sache heran und haben sich nach ihrem Umzug nach Berlin an neue Erfahrungen gewöhnt. Die bald erscheinende 17. Ausgabe bietet Werke von Autor*innen, Kunstschaffenden und Übersetzer*innen mit Geburts- oder Wohnorten in Australien, Deutschland, Finnland, Ghana, Liberia, Mazedonien, Nigeria, Palästina, den Philippinen, Singapur, Slowenien, Spanien, dem Vereinigten Königreich und den USA.

Wie wichtig ist eure Präsenz bei öffentlichen Veranstaltungen wie z.B. Releaselesungen?

Extrem wichtig. Auf Veranstaltungen lernen wir Leute kennen; dort kommt die Community zusammen. Unsere halbjährliche Ausgaben-Launch-Partys, wie z.B. das anstehende Event in der Lettrétage am 25. Mai, sind erstens eine Gelegenheit für uns, Lesungen unserer Berliner Beiträger*innen, aber mitunter auch von Gast-Autor*innen – dieses Mal aus Hongkong, Singapur und den USA – vor einem lokalen Publikum zu präsentieren. Zweitens finanziert der 5€-Eintritt einen großen Teil unserer Druckkosten. Drittens dient uns diese Veranstaltung außerdem als eigener Anlass, die Ausgabe auf der Tanzfläche zu feiern – nach sechs Monaten Lesen, Debattieren, Auswählen, Arrangieren, Korrekturlesen und Formatieren. Sie ist unsere Feier für uns und für unsere Beiträger*innen, und wir laden gerne alle unsere Bekannten ein, mitzufeiern.

Jedes Jahr nehmen wir an vielen weiteren Events teil und veranstalten einige auch selbst. In den nächsten paar Monaten sind wir z.B. involviert bei der Buchmesse Miss Read, der Langen Nacht der Wissenschaften und dem Internationalen Literaturpreis im HKW. Das alles sind tolle Gelegenheiten, eine Gemeinschaft Gleichgesinnter auf- und auszubauen und uns dabei miteinander für Literatur und Kunst zu begeistern.


© Anjula Schaub

Jake Schneider ist Chefredakteur von SAND und Übersetzer vom Deutschen ins Englische. Seine Übersetzung des Lyrikbands „Fragmentierte Gewässer“ von Ron Winkler erschien bei Shearsman Books. Er wohnt in Berlin.